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Im Einklang mit der Natur

Beyond Science

Neue Baustoffe können eine Zukunft ermöglichen, in der Gebäude und ihre Umwelt in Wechselwirkung zueinander stehen. Ob organisch oder anorganisch, Materialien werden keinen eindeutigen Kategorien mehr zuzuordnen sein.

Die Bauwirtschaft gilt als eine der ressourcenintensivsten Branchen überhaupt. Weltweit verbraucht sie rund 36 Prozent aller verfügbaren Energie und ist für 40 Prozent aller CO₂-Emissionen verantwortlich. Innovationen können hier einen wichtigen Beitrag leisten – für Gebäude selbst und darüber hinaus für eine neue Wirtschafts-, Lebens- und Arbeitsweise, die in direktem Zusammenhang mit ihnen steht. Zentrale Fragestellung dabei ist: Wie können wir Herausforderungen wie knapper werdenden Rohstoffen bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung, Klimawandel und Rückgang der Artenvielfalt begegnen? Eine Umstellung ist notwendig – weg von fossilen Ressourcen hin zu einer nachhaltigen, biobasierten Bauweise. Neue Verbindungen von Wissenschaft, Technik und Kunst geben Anlass zur Hoffnung.

Vorbild Umwelt
Die US-amerikanisch-israelische Professorin Neri Oxman beispielsweise verbindet am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Technologie und Biologie miteinander. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team erforscht sie neue Verbindungsmöglichkeiten von Computerentwürfen, digitaler Fertigung und Materialwissenschaft. Ihr Ziel sind Entwürfe, die den Prinzipien der ökologischen Nachhaltigkeit maximal entsprechen. Dafür betrachtet sie natürliche Systeme und Prozesse im Detail und zieht daraus Schlussfolgerungen für die Entwicklung neuer Materialien und Formen. Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York hat Oxmans Idee der „Materialökologie“ 2020 eine ganze Ausstellung gewidmet. Oxman erklärt den Begriff in einem YouTube-Beitrag des MoMa anlässlich der Ausstellungseröffnung als „eine einzigartige Kombination aus Forschungsansatz und Design-Philosophie, die entworfene Objekte und ihre Umwelt möglichst nah zusammenbringen soll“.
Bildhinweis: The Mediated Matter Group
Mitarbeiter Seidenwurm
Die Resultate einer möglichen Interaktion und Kollaboration von Mensch und Umwelt sind zukunftsweisend. Wie ein überirdisches Wesen oszilliert von der Decke ein meterhohes feines weißes Gewebe, das auch im MoMA zu bewundern war. Für das Projekt „Silk Pavilion II“ überließ Oxman 17.532 Seidenwürmern die Bauleitung. „Wir hatten beobachtet, dass Seidenwürmer ihren Kokon flach spinnen, wenn sie keine Zweige im Baum vorfinden, an denen sie sich orientieren können“, erklärte Oxman in dem gestreamten Frage-Antwort-Format. Mithilfe eines Metallgerüsts gab sie lediglich den Rahmen vor, den Rest der Arbeit erledigten die Raupen eigeninitiativ. Das so entstandene Bauwerk aus Seidenfasern ist atmungsaktiv, sehr strapazierfähig, trotz seiner Zartheit reißfest und von langer Lebensdauer.
Das Projekt beleuchtet für Oxman außerdem verschiedene Dimensionen: „Unser Verhältnis zu anderen Spezies ist genauso ein Thema wie unsere Liebe für Seide. Grundsätzlich sollten wir uns die Frage stellen, ob Designer immer die Form vorgeben müssen“, so Oxman im MoMA-Gespräch. Ihre Rolle sieht sie deshalb wie die Zusammenarbeit mit einem Orchester: „Wir beginnen als Komponisten und werden dann eher zu Dirigenten.“ Weitere Pluspunkte: Für die Herstellung des Pavillons musste keine einzige Raupe verbrüht oder anderweitig getötet werden, wie es sonst in der traditionellen Seidenproduktion geschieht.
Bildhinweis: The Mediated Matter Group
Gebäude aus dem 3-D-Drucker
Oxman experimentiert auch mit selbst entwickelten 3-D-Druckern. Mithilfe einer sogenannten Digital Construction Platform – eines automatischen Bausystems, das Umweltdaten auswertet und damit die Herstellung lenkt – gelang es ihr und ihrem Team 2017, eine offene Kuppel mit 14,6 Meter Durchmesser und 3,7 Meter Höhe in rund 13,5 Stunden zu bauen, sprich: auszudrucken. Ein mit Laser ausgestatteter Roboterarm steuerte die Materialschaum-Düse. Hohlräume zwischen den schichtweise aufgebauten Wänden wurden mit Beton gefüllt. Zuvor hatten sie verschiedene schnell aushärtende Polyurethan-Schaumstoffe getestet.
„Aguahoja“ nennt Oxman die von ihr als Alternative zum herkömmlichen Plastik entwickelten harzgebundenen Zellulosefasern und Polymervarianten. Die aus organischem Material zusammengesetzten Verbindungen auf Wasserbasis zersetzen sich im Lauf der Zeit und könnten so in einem fortwährenden Kreislauf genutzt werden.

Veränderungen annehmen
Oxman und ihr Team begreifen Veränderung als etwas Natürliches, gegen das sich Menschen nicht zur Wehr setzen sollten. Schließlich passen sich die meisten natürlichen Einheiten wie Gletscher, Plankton oder Löwenzahn neuen Gegebenheiten an und entwickeln sich mit ihnen weiter. „Menschen gehen nicht so vor. Die meisten wehren sich gegen Veränderung und stellen sich ihr in den Weg. Wenn sie das tun, erzeugen sie damit Konsequenzen für alle Spezies“, verdeutlichte MoMA-
Kuratorin Paola Antonelli in ihrem Beitrag auf YouTube.
Oxman: „Die Natur macht es am besten.“ Warum nicht sich so viel wie möglich davon abschauen?

Interview

Prof. Antje Stokman verbindet an der HafenCity Universität Hamburg Architektur, Ökologie, Technik und Stadtplanung.


Sie arbeiten aktuell in Kooperation mit 35 internationalen Städten und Institutionen an einem fünfjährigen EU-Projekt mit dem Namen „CLEVER Cities“. Was macht eine Stadt und ihre Gebäude clever?

Antje Stokman: Das bedeutet in diesem Fall, sich der Materialien und Mechanismen der Natur zu bedienen und mit ihr, statt mit Beton und Technik gegen sie, zu arbeiten. Immobilien und Städte können von vornherein so geplant werden, dass sie sogenannte Ökosystemdienstleistungen verrichten. Das heißt, dass sie ihre Umwelt nicht nur benutzen, sondern ihr auch selbst nutzen. Eine Fassade etwa kann so errichtet werden, dass Pflanzen einen wesentlichen Beitrag für die Beschattung und Kühlung eines Gebäudes leisten, ohne dafür Energie zu verbrauchen und damit die Außenluft zu erwärmen, wie es Klimaanlagen tun.

Wie stark wird dieser Ansatz berücksichtigt?
Das Thema hat in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen, mit vielen Auswirkungen auf die klassischen Professionen. Für wahrhaft nachhaltiges Bauen ist ein interdisziplinäres Vorgehen von Architekten, Bauingenieuren, Ma-
terialentwicklern, Technikern und Stadtplanern unerlässlich. Außerdem geht es mehr um Beteiligung. Der Top-down-Ansatz – dass etwas von oben geplant wird, ohne die Menschen vor Ort, ihre Ideen und ihr Wissen miteinzubeziehen – ist dabei nicht zielführend.

Das klingt, als ob nachhaltiges Bauen auf jeden Fall Mehrkosten verursacht, oder?
Das kommt darauf an, wie Sie bilanzieren. Die Anfangsinvestition mag höher sein. Wenn Sie allerdings die Kosten des gesamten Lebenszyklus betrachten, der ja bei Gebäuden einen langen Zeitraum umfassen kann, sind die nachhaltigen Modelle günstiger. Gründächer zum Beispiel, die ein Gebäude schützen und Regenwasser einbehalten, amortisieren sich nach rund 20 bis 40 Jahren und schaffen zusätzliche Wertsteigerungen durch ein lebenswertes grünes Umfeld.
Bildhinweis: Getty Images

Bakterien als Kitt

Ein niederländischer Meeresbiologe hat einen Biobeton mit Selbstheilungskräften erfunden. Bakterien, die normalerweise in alkalischen Seen leben, können bis zu 200 Jahre ohne Sauerstoff oder Nährstoffe im Beton überstehen. Bei auftretenden Schäden und dem damit verbundenen Kontakt mit Wasser „erwachen“ sie und nutzen Kalziumlaktat als Nahrungsquelle. Als Abfallprodukt entsteht ­dabei Kalkstein, der die Risse verschließt.
Bildhinweis: alamy

Fenster als Energieerzeuger

Transparente Solarzellen sind bereits seit einigen Jahren im Gespräch. Bislang waren sie allerdings farbstichig und im Vergleich zu herkömmlichen Zellen nicht sonderlich effizient. Südkoreanische Forscher haben farbneutrale und durchsichtige Solarzellen aus Silizium-Leiterplatten entwickelt, die sogar biegbar sind. Dadurch bieten sie neue Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel als Fenster.
Bildhinweis: shutterstock

Astronomische Isolation

Aerogele sind hochporöse Festkörper aus amorphem Siliciumdioxid. Ihr Volumen besteht zu über 90 Prozent aus winzigen, mit Luft gefüllten Poren. Diese sorgen dafür, dass die Energieübertragung, welche über die Bewegung der Luftmoleküle stattfindet, extrem verringert wird – die perfekte Isolation. Ursprünglich von der US-Raumfahrbehörde NASA für Space Shuttles entwickelt, werden sie nun auch im Baugewerbe verwendet.