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Sex mit Todesfolge

Beyond Science

Spinnen sind nicht sonderlich beliebt. Vielleicht auch, weil man wenig über sie weiß. Die Verhaltensforscherin Jutta Schneider möchte dies ändern. Im Zentrum ihrer Forschung: das Sexleben der Wespenspinne.

Im Labor von Jutta Schneider halten sich wohl nur die wenigsten gerne auf. Tropische Temperaturen, eine hohe Luftfeuchtigkeit – und zahllose Spinnennetze. Für die einen eine Horrorvorstellung, für Schneider Arbeitsalltag. Wo andere Menschen lieber wegschauen, schaut sie genauer hin: Wie spinnen die Tiere ihre Netze? Wie wickeln sie ihre Beute ein? Wie paaren sie sich? Spinnen sind zwar nicht sonderlich beliebt, und doch sind sie überall – von der Wüste über den Dschungel bis zu unseren eigenen vier Wänden, was nicht selten zu unliebsamen Begegnungen führt. „Ekel und Angst lassen sich aber überwinden“, weiß Schneider.
Fasziniert von der Tierwelt war sie schon als Kind. Wie ihr Vorbild Jane Goodall wollte sie eigentlich zu den Schimpansen in den Urwald Afrikas. Doch dann kam alles anders. „Das Angebot, mit Spinnen zu arbeiten, kam von meinem Doktorvater. Obwohl ich kaum wusste, worauf ich mich da einlasse, habe ich einfach zugesagt“, erinnert sie sich. Spinnen fand sie zwar nicht abstoßend, aber auch nicht sonderlich interessant: „Das änderte sich, als ich merkte, wie wenig die Forschung über die Tiere weiß und wie spannend deren Verhalten sein kann – zum Beispiel das der Wespenspinne.“

Männchen als Snack
Bei ihren Ausführungen über Argiope bruennichi gerät Schneider ins Schwärmen: „Allein die schwarz-gelbe Färbung ist reizvoll, auch das Netz mit dem auffälligen Zickzackmuster in der Mitte. Dazu sind sie wahnsinnig gute Jäger. Wie sie Heuschrecken fangen und in Sekundenschnelle einwickeln, einfach irre!“ Auch ihr Paarungsverhalten sei faszinierend. Warum etwa die Männchen beim Sex von den Weibchen gefressen werden, hat schon Naturforscher wie Charles Darwin (1809–1882) oder Jean-Henri Fabre (1823–1915) ratlos zurückgelassen. Mittlerweile ist das Geheimnis der Wespenspinne gelüftet, auch dank Jutta Schneiders Forschung.
Der sexuelle Kannibalismus kann bei zahlreichen Spinnenarten beobachtet werden. Die weitläufige Annahme von der Nahrungsaufnahme als wichtige Stärkung sei aber eher falsch: „Für die Weibchen sind die kleinen Männchen höchstens ein Snack.“ Hinter dem sexuellen Kannibalismus steckt vielmehr eine komplexere Strategie. Schneiders Team fand heraus, dass die Männchen in ihrem Leben nur zweimal kopulieren können – indem sie zwei mit Spermien gefüllte Taster am Kopf ausklappen und diese jeweils in eine der beiden Geschlechtsöffnungen des Weibchens einrasten. Mit jeweils einem Taster können sie ein Weibchen einmal begatten – dann bricht die Spitze des Tasters ab und verschließt die jeweilige Öffnung wie ein Korken. So stellen sie sicher, dass nicht noch ein anderes Männchen das Weibchen begattet.
Selbst wenn das Männchen bei der ersten Paarung stirbt, ist die eine Hälfte der Vaterschaft beim Weibchen gesichert. Allerdings versuchen die Männchen nach der ersten Paarung sehr wohl zu entkommen, um sich mit dem Weibchen noch einmal zu paaren. Da die Männchen ihre beiden Taster nur einmal benutzen können, haben sie nach zwei Paarungsakten ihr Lebenswerk vollbracht und sterben anschließend ohne Gegenwehr, sodass sie für die begatteten Weibchen eine leichte Beute sind.

Monogynie statt Polygynie
Heute wissen Experten, dass diese Form des sexuellen Kannibalismus unter Spinnen keine seltene Erscheinung ist. Schneider: „Wir alle kennen das Phänomen der Polygynie, dass also ein Männchen Sex mit mehreren Weibchen haben kann. Dass es aber auch Weibchen gibt, die mehrere Männchen haben, während sich diese nur einmal paaren können, kam uns vorher nicht in den Sinn.“ Dieses System der Monogynie kann auch bei anderen Arten beobachtet werden – etwa bei Anglerfischen oder einigen anderen Meerestieren. „Typisch ist, dass es bei diesen Arten mehr Männchen als Weibchen gibt. Und dass diese stets viel kleiner sind als ihre Partnerinnen.“ Eine Entdeckung dieser Art ist für Evolutionsbiologen ein großes Glück. Denn es handelt sich dabei um ein Phänomen der Konvergenz. Das heißt: Ein Merkmal entsteht im Lauf der Evolution über Artengrenzen hinweg mehrfach unabhängig voneinander.
Doch wie erforschen Schneider und ihr Team die Tiere? „Wir beobachten sie, züchten sie auch im Labor und machen Experimente“, sagt sie. „So wollen wir die Evolution und letztlich auch unsere eigene Geschichte besser verstehen.“ Überdies führt derlei Grundlagenforschung nicht selten zu sehr anwendbaren Ergebnissen. So ist die Spinnseide nicht nur wegen ihrer Reißfestigkeit und Dehnbarkeit interessant für die Materialwissenschaft, sondern findet auch in der Medizin Anwendung.
Aber selbst wenn sich kein direkter Anwendungsbezug abzeichne, habe auch Forschung am Sexualverhalten von Spinnen eine Berechtigung, findet Schneider. „Ich bin der Meinung, dass wir über die Lebewesen, mit denen wir zusammenleben, so viel wie möglich wissen sollten. Und da haben wir bei Spinnen noch einen großen Nachholbedarf.“

Im Kurzporträt

Jutta Schneider studierte Biologie in Mainz und promovierte am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Anschließend forschte sie in Israel, Dänemark und Australien. 2004 kam sie an die Universität Hamburg, wo sie als Professorin lehrt. Sie ist eine weltweit renommierte Expertin der Spinnenforschung.

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