text.skipToContent text.skipToNavigation
Es konnten keine Ergebnisse gefunden werden.
Such-Empfehlungen

Chance auf Leben

Beyond Science

Der Tod kommt ohne Vorwarnung: Scheinbar gesunde Kinder schlafen ein und wachen nicht mehr auf. Die Biochemikerin Carmel Harrington hat einen möglichen Auslöser für den plötzlichen Kindstod, Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) genannt, gefunden.

Sie und Ihr Team des Kinderkrankenhauses Westmead in Sydney haben einen entscheidenden Biomarker gefunden, der im Zusammenhang mit dem plötzlichen Kindstod steht.

Carmel Harrington:
Dabei handelt es sich um das Enzym Butyrylcholinesterase, kurz: BChE, ein Enzym des sogenannten cholinergen Systems. Dort reguliert es unter anderem den Grad der Aktivierung unseres zentralen Nervensystems – ein Prozess, den wir Arousal nennen. Diese Aktivierung sorgt dafür, dass wir aufmerksam, wach und reaktionsbereit sind. Beim Schlafapnoe­syndrom, also Atemstillständen während des Schlafs, sorgt die Aktivierung dafür, dass der Körper erwacht. Wir gehen davon aus, dass ein Mangel des Enzyms BChE zu verminderten Arousal-Reaktionen führt. Folglich reagiert der kindliche Körper bei suboptimalen Bedingungen wie etwa einer Infektion oder dem Wiedereinatmen von CO₂ in Bauchlage schlicht nicht.

Seit Jahrzehnten haben Forschende immer nur mögliche Faktoren identifiziert, die SIDS begünstigen, nicht aber die Ursache. Was fehlte?

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir keine Ursache gefunden haben, sondern einen Marker für eine potenzielle Gefährdung. Nicht alle Säuglinge mit einem niedrigen BChE-Level sterben. Wir haben Blutproben von mehr als 60 verstorbenen Säuglingen analysiert, die bereits bei der Geburt im Rahmen des Neugeborenen-Screenings entnommen worden waren – also noch zu Lebzeiten. In früheren Studien wurden zwar auch Biomarker identifiziert, jedoch nur im Blut bereits verstorbener Babys. Unsere Ergebnisse könnten einmal die Grundlage für eine frühzeitige Identifizierung potenziell gefährdeter Säuglinge bieten. Dann könnten Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Mir sagte mal jemand: „Einen Biomarker für SIDS zu suchen, gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.“ Da wir einen Zusammenhang zum cholinergen System herstellen konnten, werden wir eines Tages hoffentlich auch etwas über die zugrunde liegende Ursache für SIDS herausfinden.

Unsere Ergebnisse könnten einmal
die Grundlage für
eine frühzeitige Identi­fizierung
potenziell gefährdeter
Säuglinge bieten.“

Carmel Harrington

Sie haben also womöglich das entscheidende Puzzlestück gefunden. Wie kam es dazu?
Um die Nadel im Heuhaufen doch zu finden, muss man einige Annahmen treffen – und ich nahm an, dass der Mechanismus des Arousals eine Rolle spielt. Bereits während meiner Doktorarbeit stellte ich fest, dass ein deutliches Arousaldefizit bei Säuglingen das SIDS-Risiko signifikant erhöht. Ich bin Biochemikerin – da lag die Erfoschung der Enzyme des cholinergen Systems nahe. Die regulieren ja das Arousal.

Ihr Sohn Damien starb 1991 am plötz­lichen Kindstod. Nach diesem Schicksalsschlag entschieden Sie sich, auf diesem Gebiet zu forschen. War es Ihre persönliche Betroffenheit, die Sie bis zum Ziel hat durchhalten lassen?

Als Damien starb, wollte ich unbedingt herausfinden, was die Ursache für seinen Tod war. Das war eine schwierige Zeit, in der ich manchmal alles hinschmeißen wollte. Manche hielten mich gar für verrückt. Coronabedingt dauerte die letzte Studie überdies viel länger als erwartet, sodass ich lange auf die statistische Auswertung habe warten müssen. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass es keine neuen Erkenntnisse geben würde. Aber dann, am 21. Dezember 2021, als ich die letzten Datenanalysen durchführte, konnte ich zunächst nicht glauben, was ich in den Zahlen las. Ich wiederholte die Auswertungen mehrfach. Und wissen Sie was: Dann habe ich erst mal lange geweint. Wirklich, Damien war ja der Grund für das alles. Ich hatte mit ganz geringem Budget gestartet, habe dann über die Fundraising-Seite „Damien’s Legacy“ viele Spenden bekommen und so viel Rückhalt erfahren. Und jetzt am Ende diese unglaubliche Entdeckung!

Das könnte also in Sachen plötzlicher Kindstod wirklich der Durchbruch sein. Wie geht es denn jetzt weiter? Gibt es schon Empfehlungen oder Strategien für Eltern?

Leider nein, hier müssen wir noch viel mehr forschen. Heute kann ich nur raten, die allgemeinen Empfehlungen zur richtigen Schlafposition zu beherzigen. Auch Stillen mindert das Risiko. Und natürlich sollten werdende Mütter nicht rauchen oder ihre Kinder dem Rauch aussetzen. Ich hoffe, dass unsere Erkenntnisse eines Tages dazu führen, dass Säuglinge bei der Geburt entsprechend gescreent werden, um frühzeitig intervenieren zu können. Damit jedes Baby einschlafen und sicher wieder aufwachen kann.

Verwandte Dokumente