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Eine „fröhliche Pessimistin“

Beyond Science

Kelly Nguyen geht gern neue Wege und ist dabei oft selber vom eigenen Erfolg überrascht. Gerade präsentierte die Molekularbiologin bahnbrechende Therapieoptionen im Kampf gegen Krebs und das Altern.

Die Zeit kurz vor einem Durchbruch hat es immer in sich. Dann kann Kelly Nguyen kaum mehr schlafen. So elektrisiert und in den Bann gezogen ist sie, dass sie am liebsten nonstop durcharbeiten würde. Irgendwann ist es dann so weit. Dann fügt sich im Labor das Puz­zle vieler Jahre Arbeit wie von ganz allein zusammen. So gesehen ist es gar nicht so verkehrt, dass ihre Arbeit mühsam und langwierig ist und sie nicht jede Woche um die Nachtruhe bringt.Auf den innersten Kern stoßen, einmal tief ins Zellinnere blicken und begreifen, wie ein solches System wirklich tickt: Kelly Nguyen ist von dieser Mission geradezu durchdrungen. Seit Beginn ihrer Doktorarbeit im Jahr 2010 forscht die heute 34-Jährige an der Visualisierung von biologischen Molekülen. Der technologische Durchbruch im Bereich der Kryoelektronenmikroskopie im Jahr 2013 war für sie ähnlich, wie im 17. Jahrhundert die Erfindung des Teleskops für Astronomen gewesen sein muss – ein Meilenstein und die Basis für ganz neue Einblicke.

Zwei geniale Entdeckungen
2015 gelang ihr der erste große Durchbruch. Sie konnte das Gros der dreidimensionalen Struktur des Spliceosoms bestimmen. Das komplexe Molekül war bis dahin nur teilweise erforscht. In den Zellen spielt das Molekül eine Rolle beim komplizierten RNA-Spleißvorgang. Und vor Kurzem der nächste Coup: Kelly Nguyen schaffte es, das Enzym Telomerase zu visualisieren. In menschlichen Zellen stellt es die Endstücke der Chromosomen – Telomere genannt – wieder her. Doch zu beidem später mehr.Von dieser Entdeckung könnten künftig viele Patienten, die an Krebs erkranken oder an einer vorzeitigen Alterserkrankung leiden, profitieren. „Durch die Kenntnis der dreidimensionalen Struktur lassen sich beispielsweise präziser wirkende Krebsmedikamente entwickeln”, hofft Nguyen. Schließlich spiele die Telomerase bei 85 bis 90 Prozent aller Krebserkrankungen eine Rolle. Außerdem sei ein Mangel an Telomerasen mit Syndromen des vorzeitigen Alterns verknüpft.

Ich rechne nicht von ­vornherein mit einem guten Ergebnis, doch egal, wie es ausgeht, bin ich ein glücklicher Mensch.“

Kelly Nguyen

Karrierezutat Bildung
Nguyens Weg zum Erfolg war lang und verlangte ihr viel ab. Er startete mit der Goldmedaille 2003 bei der Mathe-Olympiade Südvietnams – für sie war das wie ein Signal zum Aufbruch. Ein Jahr später, sie war gerade erst 16 Jahre alt, zog es Thi Hoang Duong Nguyen in die Welt hinaus. Alleine. Ihre Familie, die Eltern und beide Schwestern, leben bis heute in Vietnam. Nguyen ging an eine Highschool in Neuseeland. In eine fremde Umgebung mit einer fremden Sprache. „Damals habe ich gelernt, mich rasch an neue Umgebungen anzupassen und guter Dinge zu bleiben, selbst wenn die Dinge schwierig sind.”
Ihre weiteren Stationen im Zeitraffer: mit 18 an die Australian National University in Canberra, mit 22 nach Großbritannien an die University of Cambridge zur Promotion. 28 war sie, als sie zu Forschungszwecken in die USA zog, 31, als sie nach Cambridge zurückkam, um dort 2019 ihr eigenes Labor mit derzeit fünf Mitarbeitenden zu eröffnen. Was sie in dieser Zeit prägte? Allem voran „die harte Arbeitsmoral meiner Eltern” und deren hohe Wertschätzung von Bildung. Diese Einstellung habe sie um die ganze Welt getragen und ihr eine Karriere ermöglicht, die sie liebt.
Inzwischen kann die Forscherin, die sich selbst als neugierig, organisiert, gründlich und systematisch beschreibt, namhafte Preise vorweisen. So erhielt sie unlängst den Eppendorf Award for Young European Investigators 2022, der mit 20.000 Euro dotiert ist. Als „fröhliche Pessimistin” habe sie eigentlich keine Angst vor neuen Herausforderungen, doch bisweilen Selbstzweifel. „Ich rechne nicht von vornherein mit einem guten Ergebnis, doch egal, wie es ausgeht, bin ich ein glücklicher Mensch.”
Alles oder nichts
„Meine Arbeit hat sehr klar definierte Ziele, und es geht oft um alles oder nichts“, sagt Nguyen, als sie auf innovative Technologien und das moderne Laborinstrumentarium zu sprechen kommt, ohne die ihre Entdeckungen unmöglich gewesen wären: ob Zentrifugen, Vitrobots für die Herstellung von Kryo-EM-Proben, Typhoon Imager und vieles mehr. „Oft arbeiten wir sehr lange daran, bis wir das Molekül, das uns interessiert, zum ersten Mal zu Gesicht bekommen.”
Und so widmete sie fünf Jahre und ihre Doktorarbeit dem Splice­osom. Bevor 2015 seine drei­dimensionale Struktur, die wie ein gallertartiges Korallengebilde anmutet, zum Vorschein kam, konnte das Spliceosom nur in Teilen bestimmt werden. Seit 2016 beschäftigt sich Nguyen zusätzlich mit der Telomerase, die die Kappen der Chromosomen aufrechterhält. „Zu Beginn meiner Arbeit wussten wir nur sehr wenig darüber, was dieses Molekül enthält und wie es aussieht.” Splice­osom und Telomerase – wie passen die zusammen? Tatsächlich hat Nguyen einige Gemeinsamkeiten entdeckt: „Beide gehören zu einer Familie von Makromolekülen, die wir Ribonukleoproteine nennen.” Beide sind groß – zumindest nach makr­omolekularen Maßstäben – und flexibel. Sie lassen sich im Labor nur schwer in großen Mengen herstellen, deshalb sind sie auch so lange für Forschende schwer greifbar gewesen.

Unerwartete Entdeckung
Die neuen Visualisierungen aus den humanen Zellkernen sind ein bahnbrechender Erfolg. Zudem hat Nguyen aber auch noch unerwartete Komponenten der Telomerase aufgespürt: Histone. Biochemiker dachten bislang, diese verpacken lediglich DNA in der Zelle. Dass sie auch in der Telomerase vorkommen, deutet eine neue Rolle an.
Nguyen wird künftig in diese Richtung weiterforschen, insbesondere junge Frauen weiter ermutigen und unterstützen, so, „wie ich es von meinen Eltern und Mentoren erfahren habe”. Und wenn ihr doch mal der Kopf raucht von der Laborarbeit, widmet sie sich ihrer Leidenschaft, dem Backen, genießt Hörbücher – am liebsten Biografien – oder geht laufen und erkundet die vielen schönen Wanderwege rund um Cambridge.

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