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Das Beste aus zwei Welten

Beyond Science

Ann Kennedy vereint Biologie und Mathematik wie keine andere. Sie beschreibt mithilfe von Computermodellierungen Vorgänge aus dem echten Leben. So fand die Neurowissenschaftlerin zuletzt heraus, wie Mäuse ihre Aggressionen steuern.

Ann Kennedy gehört zu den wenigen theoretischen Neurowissenschaftlerinnen, die ihre mathematische Arbeit in reale Experimente umsetzen können“, sagt Larry Abbott. „Das ist eine Gabe!” Abbott war ihr Doktorvater an der Columbia University – und nicht der einzige Weggefährte, der voll des Lobes ist. Im Onlineportal „Spectrum” der Simons Foundation Autism Research Initiative erschien eine große Geschichte über die Forscherin, die derzeit als Assistenzprofessorin an der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago arbeitet. Im Magazin wird sie als „Rising Star” beschrieben, als aufgehender Stern am akademischen Himmel. Sie würde die Kluft überbrücken zwischen Biologen und Computertheoretikern und sei großartig darin, für jedes Problem den richtigen mathematischen Ansatz zu finden.
Ann Kennedy spricht leise. Während des Interviews wirkt sie fast schüchtern. Ganz so, als ob sie lieber andere über sich und ihre Erfolge zu Wort kommen ließe. Dabei kann sie anschaulich erzählen – ungewöhnlich für jemanden, der sich so tief in der Welt der Zahlen, Daten und Codes bewegt.
Dass sie mehrgleisig fährt und sich sowohl für biologische Vorgänge im Gehirn wie auch für mathematische Modellierungen interessiert, sei schon immer so gewesen. Ihre Motivation umschreibt sie mit einem Vergleich: „Sie können eine Tasse auf Ihrem Schreibtisch anschauen und dabei eben eine Tasse sehen. Aber man kann auch darüber nachdenken, wie eine Software beschaffen sein muss, sodass sie die Tasse erkennt.” Letzteres ist genau ihre Leidenschaft.
Durchbruch gelungen
Ann Kennedys große Leistung ist folglich, dass sie, bildlich gesprochen, hinter die Tasse blicken kann und Tools entwickelt, die dabei helfen, die Arbeit des Gehirns zu verstehen. Diese Kunst hat ihr auch den mit 25.000 US-Dollar dotierten „Eppendorf & Science Prize for Neurobiology 2022“ beschert.
Kennedys Forschungsarbeiten liefern neue Erkenntnisse, wie das Mäusegehirn soziale Verhaltensweisen steuern – die Aggressionen etwa. Die Ergebnisse, so sagt sie, seien eine „Kulmination vieler anderer Arbeiten”. Ob sie ein Durchbruch sind? „Ich denke schon”, sagt sie zurückhaltend lächelnd. „Da man diese eine bestimmte Hirnregion stimulieren kann, um bei einer Maus einen Angriff auszulösen, dachten Biologen früher, dass es dort eine spezielle Untergruppe von Neuronen gibt, die die Angriffsentscheidung treffen – wie einen Schalter, den man umlegt.” Ihre Arbeit indes zeigt nun, dass diese Hirnregion eher ein Indikator für die Intensität der aggressiven Motivation des Tieres ist, ein Signal, das unabhängig davon vorhanden ist, ob tatsächlich gekämpft wird oder nicht.
„Wir sahen eine Aktivierung einer Vielzahl von Neuronen, die über einen längeren Zeitraum aktiv waren.” Einfach formuliert: Archetypische Verhaltensweisen von Tieren, zu denen auch die Aggression gehört, würden in der Hirnregion des Hypothalamus nicht einfach mit einem Alles-oder-Nichts-Schalter hoch- oder runtergefahren. Der motivierende Antrieb für diese Verhaltensweisen werde über eine „Neuronenpopulation“ fein abgestimmt, ähnlich wie bei einem Lautstärkeregler, dessen Intensität man langsam hoch- und runterdrehe.
Um zu verstehen, was sich zwischen den sensorischen und motorischen Handlungen im Gehirn abspielt, verwendeten Kennedy und ihre Mitarbeiter Mikroendoskope, die sie am Kopf der Mäuse befestigten. Während die Mäuse frei herumliefen, beobachtete das Forscherteam, welche Art von Neuronen aktiv waren. „Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie das Gehirn Motivationszustände aufrechterhält”, sagt Kennedy. Wenn eine Maus ein Raubtier sehe – in der Versuchsanordnung eine Ratte – oder in eine Auseinandersetzung mit Artgenossen gerate, vergesse sie das nicht sofort. „Die gesteigerte Erregung bleibt bestehen und verändert ihr Verhalten.” Die von ihrem Team entdeckte Neuronenpopulation korreliert dabei also mit dem anhaltenden Willen des Tieres, zu kämpfen – und nicht mit dem Kampf selbst.
Geborene Entdeckerin
Ann Kennedy wuchs in einem Vorort von Northern Virginia auf. Ihre Eltern arbeiteten als Ingenieure in der Computerbranche – die Mutter entwickelte Betriebssysteme für die ersten Geldautomaten und brachte Ann und ihrem Bruder bereits im Grundschulalter bei, zu programmieren. Ann spielte aber auch Fußball, war bei den Pfadfindern und nahm Klavierunterricht. Prägend war auch der Großvater, ebenfalls Ingenieur, in dessen Werkstatt sie oft zugange war.
Schon von klein auf wollte sie den Dingen auf den Grund gehen, verstehen, wie etwas funktioniert. Sie nutzte jede Gelegenheit, Neues zu lernen. In der Schulzeit absolvierte sie ein Praktikum in ­einem Stammzellenlabor am Childrens National Hospital. An der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, studierte Kennedy Biologie und Biomedizintechnik. Sie belegte so viele Kurse wie möglich in Fächern, die für sie Neuland waren: Signalverarbeitung, Informationstheorie, lineare Algebra. Auf diese Weise erlangte sie einen breit angelegten Instrumentenkasten, der sich für ihre späteren Forschungen als hilfreich erweisen sollte.
Wie sie sich denn als Mensch beschreiben würde? Das sei ja eine seltsame Frage, sagt sie – und dann ist es für ein paar Sekunden still. „Ich habe zuletzt so viel Zeit in den Aufbau meines eigenen Labs gesteckt, dass sich meine Gedanken eigentlich nur um meine Arbeit drehen”, antwortet sie schließlich. Ihr Labor, 2020 gegründet, befindet sich im 5. Stock in einem Gebäude mitten in der Innenstadt von Chicago. „Manche Leute sind überrascht, wenn ich sie hierhin mitnehme. Es sind nur Menschen an Schreibtischen zu sehen“, erzählt sie. „Wir sitzen die meiste Zeit am Monitor, programmieren, schreiben an Veröffent­lichungen und diskutieren mit­einander.” Daten, Codes und Diagramme sind ihre Welt. Ab und zu unterrichte sie auch Post-Docs und Studenten, das sei eine willkommene Abwechslung.
Vernarrt in die Wissenschaft
Gerne würde sie mehr reisen. Und so gelingt es ihr manchmal, an eine Konferenz ein paar Extra-Tage dranzuhängen. So wie nach einem Workshop in Puerto Rico. In Kalifornien, wo sie als Post-Doc arbeitete, habe sie das Wandern schätzen gelernt. „Hier in Illinois ist es mit den hohen Bergen nicht so gut bestellt”, sagt sie. Dennoch ziehe es sie so oft wie möglich in die Natur, in der sie mit ihrem Ehemann lange Spaziergänge unternimmt. Und ja, wenn die Zeit es erlaube, koche sie gerne zur Entspannung, und überdies sei sie ein Büchernarr. Sie verschlingt sowohl fiktionale Schmöker wie Sachbücher. „Am liebsten tauche ich in die Ideenwelt von Wissenschaftlern ein. Ich liebe es, Bücher mit wissenschaftlichen Theorien aus vergangenen Jahrzehnten zu entdecken und zu sehen, wie sich unser Denken in den jeweiligen Gebieten verändert hat”, verrät Ann Kennedy. Die Wissenschaft sei schließlich ihr Traumberuf.

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