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Dossier Natur 1 - Zurück zur Natur!

Beyond Science

Die Weltgemeinschaft will dem Artensterben den Kampf ansagen. Das Ziel: Bis 2050 sollen die Menschen zu einem „Leben im Einklang mit der Natur“ zurückfinden. Ob das gelingt?

Ihm eilte jahrhundertelang ein wahrlich schauerlicher Ruf voraus: Nicht nur Lämmer und Wild, ja sogar kleine Kinder würde der Bartgeier davontragen und mit ins Reich der Toten nehmen. So furchteinflößend wirkte der riesige Vogel mit seinen knapp drei Metern Spannweite auf den Menschen, dass dieser dem letzten „Giganten der Lüfte“ in Deutschland und Europa vor mehr als 100 Jahren den Garaus machte.

Bald aber soll der einst fast ausgerottete Bartgeier dank eines internationalen Artenschutzprojekts wieder seine Kreise am Himmel über den deutschen Alpen ziehen. Das Klausbachtal im Nationalpark Berchtesgaden soll zwei jungen Bartgeiern zur neuen Heimat werden. Geschlüpft sind sie zusammen mit acht anderen Küken in den Bergen Andalusiens – eine kleine Sensation. „Trotz schwieriger Umstände im Zuchtprogramm freuen wir uns, dieses Jahr zwei Bartgeier für die Auswilderung in Berchtesgaden zur Verfügung stellen zu können“, sagt Dr. Alex Llopis Dell, Leiter und Koordinator des Bartgeier-Zuchtprogramms im spanischen Zuchtzentrum Guadelentín.

Mit Nostalgie hat das Auswilderungsprojekt nichts zu tun. Andere Alpenländer haben die ersten Exemplare schon in den 1980er-Jahren in ihren angestammten Lebensraum zurückgebracht. Denn der Bartgeier spielt im Ökosystem der Alpen eine wichtige Rolle. Als Aasfresser mit Knochen als Leibspeise beseitigt er die Überreste toter Tiere – und verhindert so beispielsweise die Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen.

Ein Viertel aller Arten in Not
Der Bartgeier hat Glück gehabt. Dank engagierter Naturschützer hat sich der majestätische Greifvogel seinen Lebensraum in den Alpen zurückerobert. Viele andere gefährdete Tier- und Pflanzenarten blicken dagegen in eine düstere Zukunft. Denn Naturzerstörung und Klimawandel bedrohen die Artenvielfalt stärker als je zuvor.

Weltweit sind nach Angaben des Weltbiodiversitätsrats (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES), der die Politik zum Thema biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen wissenschaftlich berät, rund ein Viertel aller Pflanzen- und Tierarten von der Ausrottung bedroht. Das Artensterben schreitet demnach zehn- bis hundertmal schneller als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre voran. Die Intensivierung der Landwirtschaft, die Entwaldung sowie die Umweltverschmutzung tragen zum Schwund der Arten bei. Die wachsende Weltbevölkerung, steigender Konsum und der Klimawandel verstärken diese Effekte.

Umweltbewusstsein wächst weltweit
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Das Umweltbewusstsein weltweit wächst, wie eine von der Umweltorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) in Auftrag gegebene Analyse feststellt. So nahm die Zahl der Google-Suchen, Tweets und Nachrichten zum Thema Naturverlust in jüngster Zeit drastisch zu. „Die Sorge um Naturverlust und Schädigung von Ökosystemen ist den Menschen weltweit gemein, und viele spüren bereits die Auswirkungen von Entwaldung, Überfischung, Ausrottung von Arten und Niedergang von Ökosystemen“, sagt Sabien Leemans, Biodiversity-Expertin beim WWF European Policy Office.

Was die Menschen weltweit spüren, ist wissenschaftlich längst erwiesen: Der Erhalt von Natur und Artenvielfalt ist genau wie der Klimaschutz für den Menschen überlebenswichtig. Die Natur liefert Nahrung, Trinkwasser, frische Luft und Medikamente, ihr Zustand entscheidet über unsere Zukunft auf der Erde. Wissenschaftler machen keinen Hehl daraus, dass Naturschutz nicht ohne Einschränkungen zu haben ist. Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und einer der Mitautoren des IPBES-Reports, formuliert es positiv: „Es geht nicht etwa um den Verzicht auf Lebensqualität. Im Gegenteil. Es geht um den Verzicht auf eine negative, belastete Umwelt, auf vergiftete Gewässer. Und das ist in Wahrheit kein Verzicht, sondern ein Gewinn.“

Dekade der Wiederherstellung von Ökosystemen
Die Weltgemeinschaft scheint die Dramatik erkannt zu haben – und will das Ruder herumreißen. Die hoffnungsfrohe Botschaft lautet: Bis 2050 soll die Welt zu einem „Leben im Einklang mit der Natur“ zurückfinden. Dafür haben die Vereinten Nationen das kommende Jahrzehnt zur „UN-Dekade der Wiederherstellung von Ökosystemen“ erklärt. Im neuen „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ haben sich die Mitgliedsstaaten der Konvention auf die Ausweitung von Schutzgebieten auf 30 Prozent der Land- und Wasserflächen, die Wiederherstellung degradierter Böden sowie die Reduzierung des Einsatzes von Düngemitteln und Giftstoffen sowie von Plastikmüll verständigt.

Technologie – kein Allheilmittel
Auf welchen Wegen die Welt in eine nachhaltige Zukunft starten will, ist umstritten. Nach Ansicht von Wissenschaftlern ist Artenschutz nicht rein technologisch erreichbar, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung und erfordert ähnliche Rechenschaftspflichten wie das Pariser Klimaschutzabkommen. „Die Antwort ist nicht mehr Technologie, Innovation und Investition, sondern eine neue Sichtweise. Ausgereifte Regulierungssysteme sollten Technologien unterstützen, die den menschlichen Bedürfnissen gerecht würden, sowie dem Klima, der Tierwelt, dem Boden, dem Wasser und allen Ökosystemen“, erklärt Kai Chan, Professor für Ressourcen, Umwelt und Nachhaltigkeit an der kanadischen University of British Columbia.

Einige bereits erzielte Erfolge stimmen hoffnungsfroh. So dehnen sich die geschützten Gebiete weltweit inzwischen auf mehr als 17 Prozent der Landfläche und immerhin 10 Prozent der Meeresgebiete aus. Auch das sogenannte Rewilding, die Wiederansiedlung von ehemals in der Region verbreiteten Tieren, zeigt zum Teil spektakuläre Erfolge. Seit beispielsweise in den 1990er-Jahren der Wolf in den Yellowstone-Nationalpark in den USA zurückgekehrt ist, hat sich das Ökosystem überraschend schnell erholt. Der Grund: Die vierbeinigen Jäger halten die Population der Wapiti-Hirsche in Schach. Mit der wachsenden Zahl an Wölfen ging die Zahl der Wapitis zurück – und die Vegetation erholte sich. Fast verschwundene Baumarten wie Pappeln und Weiden, aber auch Biber und Grizzlybären sind in den Yellowstone-Park zurückgekehrt. Wo die Landschaft einst versteppte, grünt und blüht es inzwischen kräftig. Das Beispiel zeigt: Jede Art auf der Erde ist wichtig für ein funktionierendes Gesamtsystem.

Jeder Einzelne gefragt
Letztlich kann die Welt das Artensterben laut IPBES nur mit einem grundlegenden transformativen Wandel über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg sowie einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung stoppen. Hier sind jeder Einzelne und die Stimmen der Menschen vor Ort gefragt. Laura Pereira vom Centre for Complex Systems in Transition an der Stellenbosch University in Südafrika betont: „Eine bessere Zukunft beruht auf globaler Unterstützung. Die wissenschaftliche Gemeinschaft beginnt wahrzunehmen, wie wichtig es ist, den Stimmen der Erde zu lauschen. Ohne diese Stimmen bleiben die Ziele für unseren Planeten unerreichbar.“

AUF EINEN BLICK

Ziele der globalen Biodiversitätsstrategie bis 2050:

  • Verbesserung des Zustands der Ökosysteme. Unterstützung gesunder Populationen aller Arten sowie Verringerung des Anteils an bedrohten Arten
  • Verbesserung der Ökosystemleistungen, also der Fähigkeit der Natur, dem Menschen zu nutzen
  • Gewährleistung einer fairen und gerechten Nutzung genetischer Ressourcen
  • Bereitstellung ausreichender Mittel für die Umsetzung der Strategie