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Dossier Kreativität 2 - Kreativität ist (k)eine Kunst

Beyond Science

Kreativität ist nicht nur eine Typfrage – jeder kann sie lernen. Sebastian Kernbach von der Universität St. Gallen sprach mit uns über Brainwriting, die negative Wirkung des Perfektionismus und warum Kinder kreativer sind.

Sebastian Kernbach im Interview - Kurzportrait

Sebastian Kernbach ist Assistenzprofessor für Kreativität und Design am MCM Institut für ­Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen und Visiting Fellow an der Stanford University. Er gründete 2018 das Life Design Lab, gewann den HSG Impact Award und hat zwei Bücher zum Thema geschrieben: „Life Design“ und das „Life Design Actionbook“ mit sieben Strate­gien, um besser vom Denken ins Handeln zu kommen und den inneren Schweinehund zu überwinden.
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Sitzen Sie auch manchmal vor einem leeren Blatt Papier, und Ihnen fällt einfach nichts Neues ein?
Ja, aber es gibt viele Dinge, die man dagegen tun kann. Ich gehe dann bewusst raus und laufe. Wenn man sich bewegt, bringt man Bewegung in die Gedanken. Bei einer Umgebungsveränderung holt man sich neue Stimuli und lässt sich von dem, was man draußen sieht oder riecht, inspirieren.

Ist bei der Suche nach kreativen Ideen Reden oder Schweigen Gold?

Häufig tut es gut, über das Thema zu sprechen. Denn beim Reden verstetigen sich die Gedanken. Man erzählt, erhält eine Rückmeldung und eine neue Perspektive. Dabei ist es egal, ob ich mit meinem Neffen oder der 96-jährigen Oma spreche. Entscheidend ist: Ich artikuliere meine Gedanken und komme so auf völlig neue Ideen.

Was haben Sie noch in der Trickkiste?

Meine absolute Lieblingsmethode ist das Visualisieren, also einfach mit Stift und Papier die Gedanken aufschreiben und zeichnen. Das ist deshalb so gut, weil wir alle unter einem „Cognitive Overload“ leiden. Wenn wir das Kurzzeitgedächtnis überladen, sind wir überfordert. Das Visualisieren hilft dabei, das Gehirn zu entlasten. Dann kann ich mehr Gehirnschmalz auf mein eigentliches Thema verwenden. Nebenbei vereinfacht das Visualisieren auch die Kommunikation. Wenn ich eine Mindmap (Anm. d. Red.: grafische Darstellung zu einem Thema mit einem Wort im Zentrum, von dem Verbindungen zu anderen Themen abgehen) erstelle, können andere besser verstehen, woran ich gerade arbeite, und leisten vielleicht einen Beitrag dazu.

Kreative Leistung muss also kein Einzelkampf sein?

Nein, man kann nicht alles alleine schaffen. Es gibt den Spruch: Wenn man gut kreativ sein will, soll man alleine bleiben. Wenn man großartig sein will, kommt man zusammen.

Wie funktioniert denn Kreativität im Team?

Die einfachste Methode ist das „Aufeinanderaufbauen“. Und das geht so: Ich beschreibe meine aktuelle Problemstellung und lade andere dazu ein, „Ja, und …“ zu sagen. Nicht: „Ja, aber …“, denn das wäre negativ. „Ja, und …“ bedeutet: Lass uns mal gemeinsam überlegen, was man noch machen könnte.

Viele Teams setzen sich zum Brainstorming zusammen. Ist das eine gute Idee?

Nein, denn wenn man laut denkt, fängt man sofort an, die Ideen zu teilen. Dabei kontaminieren wir uns gegenseitig mit unseren Ideen. Das bedeutet: Die erste Idee wird die anderen Teilnehmer in ihren Ideen einschränken. Besser ist das „Brainwriting“: Die Teilnehmer schreiben ihre Überlegungen auf und tauschen sich erst danach aus. Das liefert mehr und bessere Ideen. Ich lasse die Ideen sogar zunächst in Zweierteams besprechen, bevor sie im dritten Schritt in der Gruppe geteilt werden.

Was ist der Vorteil der Zweiergespräche?

Menschen haben beim Kreativsein Angst vor sozialer Verurteilung. Wenn ich meine Ideen aufschreibe und direkt damit in die große Runde gehe, werde ich wahrscheinlich nicht meine verrücktesten Ideen teilen. Bespreche ich das vorher im Zweierteam, habe ich schon mal eine soziale Absicherung. Im Zweierteam ist man oft auch beharrlicher als im Viererteam. „Teams of two“ sind eine unterschätzte Teamgröße.
Wovon hängt es eigentlich ab, wie kreativ ein Mensch ist?
Kreativität wird nicht über die DNA weitergegeben. Kinder kreativer Eltern sind also nicht zwangsläufig auch kreativ. Manche Menschen haben zwar eine ausgeprägte Kreativität als besondere Charakterstärke, grundsätzlich ist Kreativität aber von jedem erlernbar.

Erfindergeist ist also keine Typfrage?
Doch! Manche Menschen sind extrovertiert, offen für neue Dinge und haben wenig Angst davor, was andere über sie denken. Sie sagen auch Dinge laut, die komisch klingen könnten, sie wollen sich weiterentwickeln. Andere machen die Dinge eher im Kopf mit sich aus. Vor allem Leute, die lange in derselben Firma arbeiten, muss man aus dem gewohnten Denken erst mal herausholen.

Sind Kinder kreativer als Erwachsene?
Das kreativste Alter liegt zwischen sechs und sieben Jahren. Das zeigt der „Alternative Uses Test“, in dem man sich in kurzer Zeit Möglichkeiten überlegen soll, wie man ein Objekt wie etwa eine Büroklammer auf unterschiedliche Weise nutzen kann. Erwachsene kommen auf maximal 30 Ideen, Kinder auf bis zu 100! Sie sind noch wenig beeinflusst und denken in allen Dimensionen. Danach verlernen sie die Kreativität. Ich arbeite häufig mit Firmenmitarbeitenden daran, wieder freier zu sein.

Wie kann man denn mehr Kreativität in sein festgefahrenes Leben bringen?
Ich gebe jedem den Rat, seine Leidenschaft zu suchen und herauszufinden, was sie für ihn bedeutet. Es gibt zahlreiche Optionen, wie ich mehr davon in meine Zukunft integrieren kann. Wenn ich beispielsweise leidenschaftlich gerne fotografiere, muss ich nicht gleich kündigen und Fotograf werden. Ich kann kleinere Fotoprojekte anstoßen und so mehr davon in mein Leben bringen. Das sorgt für ein positives Lebensgefühl, auch wenn ich an meinem Leben oder Job nichts geändert habe. Wir nennen das „Life Design“.


Im Alltag hakt es oft mit der Kreativität. Was bremst unseren Erfindergeist?
In unserer Umfrage mit mehreren Hundert Teilnehmern kam heraus, dass der Grund Nummer eins für das Prokrastinieren, also das Aufschieben, die Ablenkung ist – sei es durch das Smartphone, E-Mails, die Hausarbeit oder die Lautstärke im Büro. Grund Nummer zwei: der „Cognitive Load“. Durch Überladung und Überforderung geraten wir in eine Art Schockstarre, weil wir denken: „Das kann ich jetzt nicht auch noch machen.“ Der dritte Grund sind negative innere Stimmen wie die vom Perfektionismus. Der ist zwar bei der Umsetzung von Ideen wichtig, am Anfang kann er uns aber im Weg stehen.

Wie kann man den „inneren Schweinehund“ überwinden?
Wir haben sieben Strategien definiert, um vom Denken ins Handeln zu kommen. Eine Methode ist beispielsweise, eine „allererste Zehn-Prozent-Version“ zu bilden, um dem Unterbewusstsein mitzuteilen, dass das jetzt noch nicht gut werden muss. Eine Liste mit allem, was mir gerade durch den Kopf geht, kann befreiend sein. Danach habe ich mehr „Brainpower“, um zu tun, was ich eigentlich tun will. Manchmal ist man auch einfach emotional müde. Dann hilft eine Liste der Dinge, die einem guttun: Musik hören, entspannen, Energie tanken, um mit anderer Haltung an das Thema ranzugehen.

Besonders Forschende stehen unter dem Druck, kreativ sein zu müssen. Wie können sie das tun, ohne in Stress zu geraten?
Gerade bei komplexen wissenschaftlichen Themen hilft das Visualisieren, weil man damit implizites Wissen explizit macht. Einstein und Darwin haben tagtäglich visualisiert. Erfolgreiche Forscher nutzen Stift und Papier – sie erweitern die Funk­tion des Gehirns auf das Papier. Wissenschaftler sollten sich bewusst machen, dass etwas Neues nicht komplett neu sein muss. Wenn ich Dinge ersetze, weglasse oder auf neue Weise kombiniere, entsteht auch etwas Neues. Wissenschaftler müssen ins differenzierte, multioptionale Denken kommen, sich also bewusst machen, dass sie mehrere Optionen haben, und Dinge entsprechend überdenken. Statt etwa den Ausgang eines Experimentes als gut oder schlecht zu bewerten, sollten sie sich fragen: „Was kann ich daraus lernen?“


Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche Rolle wird die Kreativität in der Gesellschaft spielen?
Nach Robert Sternberg ist kreative Intelligenz der Umgang mit neuen Situationen. Solche haben wir permanent – Krieg, Energiekrise, Naturkatastrophen. Wir brauchen künftig noch mehr Kreativität, um ­Antworten auf die Probleme der Welt zu finden.

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