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Beyond Science

Maniok, Jackfrucht, Quinoa und Hirse – auf dem Weltmarkt spielen sie kaum eine Rolle. Deshalb zählen sie zu den „Orphan Crops“. Doch den Waisenpflanzen könnte eine große Zukunft bevorstehen.

Im Frühjahr taucht der blühende Raps in Deutschland ganze Landschaften in strahlendes Sonnengelb. Die Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse ist seit dem 16. Jahrhundert aus der heimischen Landschaft kaum noch wegzudenken, genauso wenig wie das aus ihr gewonnene Speiseöl im Supermarktregal. Doch ursprünglich waren die ölhaltigen Samen bitter und ungenießbar. Erst nachdem Landwirte Rapssorten ohne jene bitteren Glucosinolate und Erucasäure gezüchtet hatten, entstand die heute bekannte Pflanze, aus der das Öl gepresst wird. Es gilt laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als das gesündeste unter den Fetten.

Vom Waisenkind zum Star

Der unbekömmliche Raps war das, was Forschende heutzutage als „Orphan Crop“ bezeichnen. Er war ein Waisenkind unter den Pflanzen, das sich erst im Lauf der sogenannten Domestizierung zum Star entwickelte. Eine Entwicklung, auf die andere Orphan Crops noch warten. Denn weltweit stehen den Menschen zwar etwa 300.000 essbare Pflanzen zur Verfügung, nur ein Bruchteil davon landet jedoch auch auf unseren Tellern.
Stattdessen ernähren Reis, Weizen und Mais die Hälfte der Weltbevölkerung – während knapp 830 Millionen Menschen laut dem Welthunger-Index 2021 unter chronischem Hunger leiden. Die Unterernährung wird durch den Ukraine-Krieg und die mit ihm verbundenen Lieferengpässe des Weizens zusätzlich verschärft. Forschende arbeiten deshalb daran, Orphan Crops durch Züchtung zu kostbaren Nutzpflanzen zu kultivieren. In Afrika haben sich Universitäten, Industriepartner und Nichtregierungsorganisationen im „African Orphan Crops Consortium“ zusammengeschlossen. Ziel ist die Entschlüsselung des Erbguts der 101 wichtigsten afrikanischen Pflanzenarten.
Eine davon ist Ebolo. Das Gewächs mit dem lateinischen Namen Crassocephalum crepidioides wächst in Nigeria und erinnert mit seinen basilikumgrünen Blättern an Spinat. In seiner Heimat wird es als Gemüse verzehrt. Reich an Vitaminen und Mineralstoffen, steht Ebolo auch in Australien und Asien als Salat auf der Speisekarte. Doch gleichzeitig enthält die Pflanze ein Gift, das bereits in geringen Mengen die Leber schädigen und sogar Krebs verursachen kann. Forschende der Technischen Universität München wollen deshalb eine Sorte ohne diese Toxine züchten. Auch die Urformen von Zucchini, Tomaten, Paprika oder Kartoffeln schützten sich wie der Raps einst mit giftigen Substanzen vor Schädlingen und konnten erst durch entsprechende Züchtungen für den Gebrauch in der Küche nutzbar gemacht werden.
Die nigerianische Pflanze „Ebolo“ enthält viele Vitamine und Mineralstoffe und wird gerne als Salat gegessen
Wurzeln aus China
Ähnlich verhält es sich mit der Chinesischen Yams­wurzel, die auch als Lichtwurzel und Nagaimo bekannt ist. Die stärkehaltige Wurzel mit den vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützenden In­­haltsstoffen bildet lange, dünne Wurzelknollen, ihr leicht süsslich-nussiger Geschmack erinnert an den der Esskastanien. Die tropische Pflanze gedeiht ausschließlich in Südostasien und Westafrika –und zwar tief in der Erde. Die Ernte ist schwierig, vorsichtig muss sie per Hand ausgegraben werden. Nun wollen Forschende der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zusammen mit Kollegen aus Nigeria die Knolle mithilfe molekulargenetischer Methoden so weiterzüchten, dass sie größer, runder, dicker – und damit widerstandsfähiger wird. Zugleich soll Dioscorea opposita robuster gegen Schädlinge werden. Am Ende, so die Hoffnung, könnte die Chinesische Yamswurzel in Nigeria helfen, den Hunger zu bekämpfen und die Abhängigkeit von Importen zu mindern.
Die Chinesische Yamswurzel schmeckt ähnlich wie die Esskastanie – und soll Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen
Lokale Exoten züchten
Die Forschenden wollen die Chinesische Yamswurzel zudem als Nutzpflanze in Europa kultivieren. Sie wäre dann ein sogenannter „Local Exotic“ – ein Exot aus lokalem Anbau, der den Wunsch nach kulinarischem Fernweh mit den Ansprüchen einer Planetary Health Diet vereint. Einer Ernährungsweise, die nicht nur gut für den Menschen, sondern auch gesund für die Erde ist. Schließlich muss das Lebensmittel nicht klimaschädlich von einem Land ins andere geflogen werden. So wie die Chia-Pflanze, die aus Mexiko stammend inzwischen auch in Deutschland angebaut werden darf – dank Forschenden der Universität Hohenheim in Stuttgart, die die Sorte „Juana“ beim Bundessortenamt eintrugen.

Eine weitere in Europa bekannte Orphan Crop ist Quinoa. Die südamerikanische Pflanze diente als besonders eiweißhaltiges Korn bereits vor 6.000 Jahren den präkolumbianischen Völkern als Grundnahrungsmittel und wird heute als Superfood in Europa gefeiert. Aber die steigende Nachfrage lässt den Preis des Pseudogetreides in Anbauländern wie Bolivien in die Höhe schnellen. Deshalb arbeiten Forschende daran, Quinoa auch in einer warmgemäßigten Klimazone zu beheimaten.
Die Orphan Crops sind immer besser erforscht und an unsere Bedürfnisse angepasst. Dadurch lässt sich einer einseitigen Ernährung vorbeugen und die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten. Spätestens wenn 2050 wie von der Uno prognostiziert etwa 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben, können die Waisen unter den Pflanzen helfen, den Hunger auf der Welt zu stillen – hoffentlich.
Quinoa kennt man. Die südamerikanische Pflanze hat aber auch das Potenzial, weltweit Hunger zu stillen

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