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Der Hype um das ewige Leben

Beyond Science

Longevity ist mehr als ein Trend. Es ist eine Forschungsrichtung, die insbesondere in den USA immer stärker in den Fokus rückt. Sind Verjüngungsträume durch Biotech bald schon Realität?

Die Lebenserwartung hat sich in den westlichen Industrienationen in den letzten 120 Jahren verdoppelt. Dank medizinischem Fortschritt sind einstige todbringende Infektionskrankheiten wie Pocken gebannt, heute leben mehr als eine halbe Million Menschen auf dem Globus, die die magische Grenze von 100 Jahren überschritten haben. In Deutschland wurden im Jahr 2020 mehr als 20.000 Hundertjährige gezählt. Den Altersrekord hat eine Französin inne: Jeanne Louise Calment wurde 122 Jahre und 164 Tage alt. Ältester Mann der Welt war der Spanier Saturnino de la Fuente mit 112 Jahren, er verstarb Anfang 2022.
Das Alter von Zellen bestimmen
Indes, die Leistungsfähigkeit nimmt trotz aller Expertise vom 30. Lebensjahr an kontinuierlich ab, im Schnitt etwa ein Prozent pro Lebensjahr. Doch warum altern die einen schneller als die anderen? Und wie vermag die Forschung überhaupt das Alter von Zellen zu messen? Lange wollte man es festmachen an den Telomeren, den nach diversen Zellteilungen ausfasernden Enden der Chromosomen. Doch das erwies sich als zu ungenau. Steve Horvath von der University of California entdeckte 2013 die „epigenetische Uhr”, mit deren Hilfe auf molekularer Ebene das Alter auf 3,6 Jahre genau bestimmt werden kann. Ein Meilenstein für Forschende.

Das Alter an sich ist natürlich keine Krankheit. Deshalb könnten klinische Studien für einen Wirkstoff, der lediglich die Verlängerung der Lebenszeit im Visier hat, nicht genehmigt werden. Mit dem Alter einher gehen aber auch etliche Malaisen. Die letzte Lebensphase ist oft durch altersassoziierte Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz oder Krebs erschwert. Muss das denn sein? Fakt ist: Immer mehr potente und prominente Geldgeber wie Google-Mitbegründer Larry Page, PayPal-Founder Peter Thiel oder Amazon-Chef Jeff Bezos investieren in forschende Firmen. Dazu gehört etwa das kalifornische Start-up „Altos Labs”, das 270 Millionen Dollar eingesammelt hat, für die Hoffnung, dem Alter bald ein Schnippchen schlagen zu können.

Umsatz für Longevity-Produkte steigt

Auftrieb erhält die Branche durch die Methode der „biologischen Reprogrammierung“, mit deren Hilfe im Labor bereits alte Zellen verjüngt werden konnten. Wie das funktioniert und wo der Haken liegt bei der Anwendung auf die Spezies Mensch, erläutert der Kölner Altersforscher Dr. Sebastian Grönke im Interview (siehe Seite 14). Aber nicht nur wie bei dieser Umwandlung von Zellen mithilfe von Genfaktoren, auch über das Blutplasma wollen forschende Firmen wie „Neteos“ in Deutschland oder „Alkahest“ sowie „Life Biosciences“ oder etwa „Turn Biotechnologies“ in den Vereinigten Staaten am Rad der Zeit drehen. Der Traum vom langen, gesunden Leben kurbelt das Geschäft an. „Businessinsider“ prognostizierte für 2021 einen Umsatz für Longevity-Produkte von 216 Milliarden US-Dollar, 2015 betrug dieser noch knapp 140 Milliarden.

Ewige Jugend wird im Labor an Organismen wie Fruchtfliegen, Fadenwürmern, Killifischen, die bereits zu den Wirbeltieren zählen, und Mäusen erforscht. Als Erfolg versprechend zeigten sich Ansätze, wo ältere Killifische Darmbakterien von jungen Artgenossen erhielten. Auch junges Blutplasma hat Fadenwürmer wieder fit und beweglich gemacht. Die Gabe guter, da entzündungshemmender und verjüngender Proteine führte zu einer höheren Gedächtnisleistung – solche Experimente sind beeindruckend, der Nutzen für den Menschen aber noch fraglich.

Für Experte Sebastian Grönke kristallisieren sich vielmehr zwei andere Optionen heraus. „Wir haben im Labor durch die Kombination zweier Krebsmedikamente mit Lithium bei Fliegen eine Lebenszeitverlängerung von 30 bis 40 Prozent erreicht.” Der Vorteil: Die Wirkstoffe sind erstens bereits zugelassen, und zweitens gilt Krebs als eine der altersassoziierten Krankheiten. Offenbar macht es der Mix, denn „mit nur einem Wirkstoff waren es nur zehn Prozent Lebenszeit on top”. US-Studien erwarten ähnlich gute Resultate bei ersten Versuchsreihen am Menschen mit dem Diabetesmedikament Metformin.

Auf Diät gesetzt

Gene, das weiß die Wissenschaft inzwischen, spielen für die Longevity mit nur 10 bis 15 Prozent eine kleine Rolle. Maßgeblich ist der Lebensstil. Der Bremer Betriebswirtschaftsprofessor Sven Voelpel, bekannt durch Bücher wie „Entscheide selbst, wie alt du bist“, will sich über eine Verhaltenskorrektur der „Jungbrunnen-Formel” nähern. Auch Grönkes Tierexperimente deuten in eine ähnliche Richtung. Zumindest die Nager lebten dank Intervallfasten sowie einer kohlenhydratreichen Ernährung länger: Grönkes Team setzt Mäuse auf Diät, die Tiere erhalten nur 60 Prozent ihrer üblichen Futtermenge, und das einmal am Tag – ihre Lebenszeit verlängerte sich allein dadurch um 30 bis 40 Prozent.

Interview

Die „biologische Reprogrammierung“ spielt in der Altersforschung eine wesentliche Rolle. Molekularbiologe Dr. Sebastian Grönke vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln erklärt die Verjüngungsmethode und ihre Fallstricke.

Ist das Konzept des Reverse Aging ein Durchbruch in der Altersforschung?
Dr. Sebastian Grönke: Auf alle Fälle ist es ein neuer Ansatzpunkt, alles andere muss sich mit der Zeit noch erweisen. Das Interessante ist: Die Verjüngung von älteren Zellen ist inzwischen nicht nur im Labor gelungen, sondern auch in Mäusestudien. Allerdings wurden da Progeria-Mäuse genommen, besonders kurzlebige Mäuse. Deren Lebenszeit ließ sich so verlängern. Der Goldstandard wäre der Nachweis an der Wildmaus, und der steht noch aus.

„Stammzellgene als Verjüngungskur für Mäuse“ titelte jedenfalls das „Ärzteblatt“. Wie funktioniert die Methode der „biologischen Reprogrammierung”?
Shinya Yamanaka konnte vor knapp zehn Jahren erstmals zeigen, dass man eine ältere Körperzelle, etwa eine Hautzelle, per Biopsie entnehmen und im Labor verjüngen kann. Das gelang durch die Entdeckung von vier Faktoren, die in einem ganz frühen Stadium der Entwicklung exprimiert werden. Es handelt sich kurz gesagt um vier genetische Transkriptionsfaktoren, sie wurden nach ihrem Entdecker benannt – Yamanaka-Faktoren. Wenn man diese in adulten Zellen aktiviert, lassen sich erwachsene Zellen rückverwandeln in künstlich erzeugte embryonale Zellen. Im Fachterminus sprechen wir dann von „induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs)“.

Hört sich kompliziert an …
Die Idee dahinter ist einfach. Reichert man die Hautzellen mit den vier Y-Faktoren 15 Tage lang an, setzt das im Zellinneren einen Prozess in Gang, der dann auch tatsächlich als Reprogrammierung bezeichnet wird – die ehemalige Hautzelle verwandelt sich zurück in eine Stammzelle. Im Alterungskontext ist die vollständige Umwandlung aber gar nicht die Intention. Als Embryonalzelle kann die rückverwandelte Hautzelle nicht mehr als Hautzelle funktionieren. Setzt man das genetische Programm mit den Y-Faktoren aber in Gang und stoppt es nach vier bis fünf Tagen ab, verjüngt sich die Hautzelle, ohne sich komplett zu reprogrammieren und ohne ihre Funktion zu verlieren. Warum sie sich verjüngt, verstehen wir noch nicht wirklich.

Anfangs wuchsen bei den derart verjüngten Mäusen als Nebenwirkung Tumorzellen. Das klingt nicht vielversprechend für den Menschen.
Das Problem ist behoben, es haben sich in aktuellen Studien keine Tumoren entwickelt. Mittlerweile ist es sogar schon gelungen, humane Zellen von älteren Menschen zu entnehmen und diese zu verjüngen. Beim Menschen passiert das natürlich ex vivo, also in Zellkultur. Fazit: Es funktioniert auch beim Menschen – theoretisch zumindest. Die große Frage bleibt, wie man das Wissen im menschlichen Organismus anwenden will. Bei der Maus wurde eine transgene Linie verwendet, die Y-Faktoren wurden vorher ins Erbgut eingebaut, und zwar so, dass man sie experimentell aktivieren kann. Das verbietet sich für den Menschen, den man aus ethischen Gründen nicht genetisch verändern darf.