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Beyond Science

Das Jahr 1945 markiert eine neue geologische Epoche – das Anthro­pozän. Forschende mahnen, das „Zeitalter des Menschen“ ver­pflichte zu nachhaltigem Handeln. Zum Schutz unseres Planeten Erde.

Der Blick aus dem All auf die Erde zeigt immer wieder, wie begrenzt und verletzlich unser Planet ist. Die Atmosphäre ist als beängstigend dünnes, blauschimmerndes Band zu sehen. Durch Rodungen verursachte Rauchfahnen und Löcher im tiefgrünen Dach der Regenwälder sind ebenso zu erkennen wie die Explosionswolken der Kriegsgebiete. Diese einzigartige Perspektive hat den Astronauten Matthias Maurer zutiefst beeindruckt. Als er nach einem halben Jahr auf der Internationalen Raumstation ISS im Mai dieses Jahres auf die Erde zurückkehrte, stellte er fest: Wenn man in 90 Minuten einmal die Erde umrunde, begreife man, „dass das alles eine Einheit ist“ und dass die Menschen gemeinsam Verantwortung für den Planeten übernehmen müssten.

Kaum noch intakte Wildnis
Die Welt, die sich den Astronauten präsentiert, hat sich innerhalb von gerade einmal drei Generationen tiefgreifend verändert. Inzwischen sind die Spuren der Zivilisation unübersehbar. Die Menschheit hat dem blauen Planeten ihren Stempel aufgedrückt. Sie hat riesige Regionen entwaldet, Berge abgetragen, fruchtbare Böden degradiert, Flussläufe „korrigiert“, die Erde nach Rohstoffen durchwühlt, Stoffe und Organismen geschaffen, die es vorher nicht gab, und sogar das Klima verändert.Unberührte Natur gibt es kaum noch. Selbst an den tiefsten Stellen des Meeres finden Forschende Plastikmüll. Nur etwa 20 bis 30 Prozent der Landfläche gelten noch als Naturräume. Als intakte Wildnis lassen sich nach strengen Kriterien gerade noch drei Prozent bezeichnen. Das belegt eine aktuelle Studie von Forschenden der University of Cambridge um Andrew Plumptre. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der amerikanische Geograf und Umweltwissenschaftler Erle Ellis: Die Erde, sagt er, sei inzwischen zu einem „Humansystem mit eingebetteten natürlichen Ökosystemen“ geworden. So ist es nicht verwunderlich, dass in den letzten beiden Jahrzehnten eine beinahe in Vergessenheit geratene Initiative wieder Aufwind bekam: die Idee, eine neue erdgeschichtliche Epoche auszurufen, das „Anthropozän“. Was so viel bedeutet wie das „Zeitalter der Menschen“.

Die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens
Bereits 1873 hatte der italienische Geologe Antonio Stoppani den Begriff „Anthropozoische Ära“ als Bezeichnung für ein neues Erdzeitalter vorgeschlagen. Doch erst durch den niederländischen Meteorologen und Atmosphärenchemiker Paul J. Crutzen (1933–2021) bekam die Idee die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit. Für seine grundlegenden Forschungen zum Ozonloch erhielt der Direktor des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie 1995 den Chemie-Nobelpreis. Ein einflussreicher Forscher also, der das Thema Anthropozän eher beiläufig auf die Agenda brachte: Bei einer Tagung im Jahr 2000 reagierte er ungehalten auf einen Kollegen, der über das Holozän sprach, die aktuelle geologische Erdepoche seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 11.700 Jahren: „Hören wir endlich auf, vom Holozän zu sprechen“, platzte es aus ihm heraus, „wir sind längst im Anthropozän!“ Danach war es eine Weile still im Raum, später rieten Kollegen Crutzen dazu, sich den Begriff schützen zu lassen.Danach war Crutzen im Zugzwang. Akribisch sammelte er Argumente: Als wichtigste Veränderungen betrachtete Crutzen die enorme Erhöhung der atmosphärischen Konzentration von Treibhausgasen, die Zunahme des Energieverbrauchs während des 20. Jahrhunderts um das Sechzehnfache sowie die Tatsache, dass mittlerweile mehr Stickstoff in der Landwirtschaft in Form von Kunstdünger eingesetzt wird, als in allen natürlichen Landökosystemen gebunden ist. Sein Fazit: „Wenn nicht gerade eine globale Katastrophe passiert – ein Meteoriteneinschlag, ein Weltkrieg oder eine Pandemie –, wird die Menschheit auf Jahrtausende die vorherrschende Kraft in der Umwelt werden. Eine große Herausforderung liegt vor Wissenschaftlern und Ingenieuren, die Gesellschaft in der Ära des Anthropozäns zu einem nachhaltigen Wirtschaften und Management zu navigieren.“

Sündenfall Atombombe
Doch ob „Anthropozän“ als verbindlicher Fachausdruck in den Lehrbüchern landen wird, darüber entscheidet letztlich ein kleiner Zirkel von Geologen, die „International Commission on Stratigraphy“. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe führender Wissenschaftler hat der Kommission nach jahrelanger Diskussion dazu geraten. Denn die Menschheit hat längst bleibende Spuren hinterlassen, an denen sich der aktuelle Raubbau auch in Tausenden von Jahren noch nachweisen lassen wird: Chemie-, Plastik- und Aluminiumrückstände etwa, ein Artensterben, wie es seit 65 Millionen Jahren nicht mehr vorkam, der Klimawandel sowie radioaktive Substanzen, die von Atombombenexplosionen und havarierten Kernkraftwerken herrühren. 1945, das Jahr, an dem die erste Atombombe in der Wüste im Süden von New Mexico gezündet wurde, soll als Beginn des neuen Zeitalters gelten.Ganz gleich, wie die Entscheidung ausgehen wird, der Begriff Anthropozän hat bereits die wissenschaftliche Diskussion stark geprägt. Er verdeutlicht, dass wir Menschen die Verantwortung haben, wie es mit unserem Planeten weitergehen wird.

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