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Dossier Diversität - Bunt statt schwarz-weiß

Beyond Science

Geht es um die Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung, sind immer noch große Missstände zu beklagen. Warum sich der Einsatz für Diversität und Inklusion lohnt.

Wen holen deutsche Personaler lieber als neue Mitarbeiterin in ihr Team – Sandra Bauer oder Meryem Öztürk? Doris Weichselbaumer wollte es genau wissen. Rund ein Jahr lang verschickte die Linzer Ökonomin fast 1.500 fiktive Bewerbungen an Unternehmen in Deutschland. Mal schrieb sie im Namen einer fiktiven Deutschen (Sandra Bauer), mal wählte sie den türkischen Namen Meryem Öztürk als Absender. Die Resonanz, die Weichselbaumer auf die ansonsten identischen Bewerbungen erhielt, war ernüchternd. Während bei der vermeintlich deutschen Bewerberin in 18,8 Prozent der Fälle Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch im Briefkasten landeten, erhielt die angebliche Türkin nur auf 13,5 Prozent der Bewerbungen eine positive Antwort. Trug sie auf dem Bewerbungsfoto auch noch ein Kopftuch, folgte nur in 4,2 Prozent der Fälle eine positive Rückmeldung. Insgesamt, so die Forscherin, muss eine türkischstämmige Frau mit Kopftuch 4,5-mal so viele Bewerbungen schreiben wie eine Deutsche, um eine Einladung zum Gespräch zu ergattern.

Auch Menschen mit einer Behinderung, anderen Hautfarbe, Religion oder sexuellen Orientierung kennen das Problem der „gläsernen Decke“, an der immer noch viele Lebensentwürfe und Karrieren scheitern – sowohl in Unternehmen als auch in Wissenschaft und Politik. Trotz eifriger Bekenntnisse zu Diversität und Inklusion sind etwa die Chefetagen großer Unternehmen überwiegend von weißen Männern besetzt. Behinderte sind trotz guter Ausbildung häufiger arbeitslos als Nichtbehinderte mit schlechterer Ausbildung. Selbst im Sport ist Diversität bislang nur ein hehres Ziel. Noch immer wartet man etwa in der Bundesliga gespannt auf das erste Outing eines schwulen Fußballers während seiner aktiven Karriere.

Wo sind die Professorinnen?

Auch in der Wissenschaft gibt es Benachteiligungen, etwa mit Blick auf das Geschlecht. So zeigt etwa der neue U-Multirank „Gender Monitor“, ein Sample aus fast 2.000 Hochschulen in 96 Ländern, dass Frauen insbesondere an forschungsintensiven Hochschulen auf jeder Karrierestufe ausgebremst werden. Während Frauen weltweit etwa die Hälfte aller Bachelor- und Masterstudierenden stellen, besetzen sie später nur 28 Prozent der Professuren.Auch Wissenschaftsjournale sind oft wenig divers, wie Forschende der University of Rhode Island am Beispiel der Zeitschrift „Biological Invasions“ herausgefunden haben. Die Redaktion ist „überwiegend amerikanisch, überwiegend weiß und mit mehr Männern als Frauen besetzt”, erklärt Laura Meyerson, Professorin für Natural Resources Science und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift. „Die meisten unserer Paper stammen aus Amerika und Europa sowie aus Neuseeland. Englischsprachige Länder dominieren”, ergänzt Meyerson. Daten aus Afrika und Asien seien kaum vorhanden, da nur wenige Studien von Wissenschaftlern aus diesen Erdteilen in Peer-Review-Zeitschriften auf Englisch veröffentlicht würden. „Mit lückenhaften Informationen stellen wir sodann Vermutungen und Hypothesen auf und treffen Schlussfolgerungen“, kritisiert Meyerson.

Nur Zelllinien von Europäern

Sogar in der medizinischen Forschung hakt es bei der Diversität. So stammen laut einer in der Zeitschrift „Cell“ veröffentlichten Studie 95 Prozent der weltweit untersuchten Zelllinien von Europäern. „Falls die meisten Zelllinien, die zur Entwicklung neuer Medikamente von Menschen europäischer Abstammung herrühren, wirken diese Medikamente dann genauso gut in Menschen nicht-europäischer Herkunft? Immer mehr Beweise deuten darauf hin, dass dies leider nicht der Fall ist”, sagt Sophie Zaaijer vom New Yorker Start-up „FIND Genomics“ und ruft dazu auf, unterrepräsentierte Populationen in der Forschung stärker zu berücksichtigen.

Ungleichbehandlung trifft Menschen hart

Die mangelnde Diversität hat nicht nur für die medizinische Forschung gravierende Folgen. Auch die Ungleichbehandlung von Menschen, die anders aussehen, denken oder ticken als man selbst, trifft die Betroffenen im Alltag und Berufsleben hart. So erleben LGBT+-Mitarbeiter laut einer Studie der University of Bath mehr Konflikte am Arbeitsplatz als die heterosexuellen Kolleginnen und Kollegen. Sie empfinden ein geringeres Maß an „Psychological Safety“, also an gefühlter Sicherheit, und sind im Job weniger zufrieden. Hier wird der Unterschied zwischen Diversität und Inklusion deutlich. Denn Inklusion entsteht nur dann, wenn sich die Mitglieder diverser Teams auch akzeptiert und wertgeschätzt fühlen. Die Autoren der Studie fordern Arbeitgeber auf, sich aktiv für Minderheiten einzusetzen. „Im Rahmen der Inklusion die Initiative zu ergreifen, sendet eine Botschaft an gegenwärtige und zukünftige Mitarbeiter bezüglich der Werte ihrer Organisation und der Art und Weise, wie sie ihre Menschen unterstützt”, sagt Luke Fletcher, Associate Professor an der School of Management der University of Bath.
Immerhin: Das Bewusstsein für die Problematik wächst. So bevorzugte in einer repräsentativen Umfrage des Karriereportals Monster immerhin die Hälfte der Befragten Unternehmen bei der Stellensuche, die Wert auf Vielfalt legen. Hier haben viele Firmen allerdings noch große Aufgaben vor sich. Denn immerhin 39 Prozent der deutschen Unternehmen verfolgen laut Monster noch gar keine Diversitäts- und Inklusionsstrategie. Die sei jedoch dringend notwendig, denn eine inklusive Kultur entstehe nicht von selbst, betont Petra Raspels, Head of People & Organisation bei der Unternehmensberatung PwC Deutschland und Europa: „Es genügt nicht, Themen wie Diversität und Lohnungleichheiten auf der Agenda zu haben. Unternehmen müssen sie konkret und erkennbar angehen.“

Diversity Management auf allen Ebenen

Praktische Anregungen für eine erfolgreich gelebte Vielfalt in der Arbeitswelt liefert der Verein Charta der Vielfalt. Demnach muss ein gutes Diversity Management in Unternehmen und Institutionen bereichsübergreifend auf allen Hierarchieebenen verankert sein und im Alltag gelebt werden. Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem gleichberechtigten Umfeld kann die Neubesetzung von Recruiting-Teams sein. Forschende der University of Houston fanden heraus, dass sich 23 Prozent mehr Frauen auf einen Job bewerben, wenn eine Frau das Recruiting-Team leitet. Noch verblüffender ist der Effekt, wenn ein Hispanic oder Schwarzer das Recruiting-Team anführt. Dann steigt die Zahl der Bewerbungen von entsprechenden Minderheiten um 100 Prozent an.
Strukturveränderungen sind auf allen Ebenen nötig, um eine offene Unternehmenskultur zu schaffen – von der Kommunikation der Führungskräfte bis hin zum Teamaufbau. Offene Worte im Team tragen dazu bei, dass sich alle Mitglieder wohlfühlen, und helfen, die Fluktuation zu reduzieren. Letztlich liegt der Schlüssel zu mehr Diversität in der Anerkennung ihres Nutzens, wie das Kompetenzzentrum für Diversity & Inklusion der Universität St. Gallen betont. Diverse Teams öffnen demnach den Blick für neue Perspektiven und verfügen über breiteres Wissen. Das vereinfacht den Umgang mit Komplexität, steigert die Innovationskraft und verbessert die Produktivität sowie die Leistung von Unternehmen. Nicht zuletzt signalisieren Unternehmen mit einer guten Inklusionskultur, dass Gleichbehandlung vor allem eine große Chance bedeutet.Denn diverse und inklusive Teams helfen, den Fachkräftemangel auszugleichen. Unternehmen erschließen sich so neue Zielgruppen und Märkte und schaffen nachweislich bessere Lösungen und innovativere Produkte.