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Phonetik - Der Ton macht die Musik

Beyond Science

Auch wenn wir beim Sprechen unsere Worte mit Bedacht auswählen, spielt die Art und Weise, wie wir sie hervorbringen, eine viel größere Rolle: Phonetiker Oliver Niebuhr über unser stimmliches Charisma – und wie wir damit auf andere Menschen wirken.  

KURZPORTRÄT

Oliver Niebuhr ist Professor an der Dänischen Syddansk Universitet in Odense, wo er am Zentrum für Indus­trieelektronik das Akustiklabor leitet. Niebuhr erforscht die Stimme seit über 20 Jahren und gilt als Spezialist für die Formen und Funktionen der Sprechmelodie im Allgemeinen und das akustische Charisma im Besonderen. So bewertet er etwa den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama als besonders charismatischen Sprecher.

Sie kann unsere vorgebrachten Argumente in einer Diskussion verstärken, uns verraten oder unsere Mitmenschen schnell erahnen lassen, wie es uns gerade geht. Sie kann uns klein und unsicher wirken lassen, genauso aber selbstbewusst und dominant. Die Rede ist von unserer Stimme beziehungsweise unserer Stimmqualität, die unter anderem von der Stimmlage bestimmt ist und der Prosodie, umgangssprachlich auch Sprechmelodie genannt. Sie ist dadurch charakterisiert, wie laut wir sprechen, in welcher Tonhöhe, wie schnell oder wie langsam und wie viele Pausen wir dabei machen. Wie wir diese Sprechmelodie einsetzen, spielt dabei eine entscheidende Rolle: „Es herrscht immer noch die Meinung vor, dass man vor allem seine Worte mit Bedacht wählen muss und die Stimme zweitrangig ist, aber das genaue Gegenteil ist der Fall“, erklärt Oliver Niebuhr, promovierter Phonetiker und Forscher an der Dänischen Syddansk Universitet in Odense. Schließlich gehöre die Stimme zu unseren ersten Kommunikationsmitteln.

Die Macht der charismatischen Stimme

Unsere Stimme kann uns also mehr als nur Informationen übertragen. Wie viel Kompetenz, Selbstbewusstsein und Leidenschaft sie beim Sprechen ausstrahlt, bestimmt dabei ihr Charisma. Kompetenz erzeuge bei den Zuhörenden vor allem Vertrauen: „Ich traue dem- oder derjenigen zu, dass er oder sie das hält, was er oder sie verspricht“, erklärt Niebuhr. Wenn Sprechende über ihre Stimme Selbstbewusstsein ausstrahlten, dann motiviere das ihr Gegenüber. „Man fühlt sich selbst dazu befähigt, gewisse Dinge tun zu können”, führt der Forscher aus. Leidenschaft dagegen sei vor allem mitreißend. „Sie kann andere anstecken – wirkt also besonders auf der emotionalen Ebene.“
Aber auch für Menschen, die über alle Maßen kompetent, durch und durch leidenschaftlich und voller Selbstbewusstsein vortragen, gibt es laut Niebuhr eine Einschränkung: „Unser stimmliches Charisma ist nur dann wirkungsvoll, wenn die sprechende und die zuhörende Person ähnliche Normvorstellungen haben. Ein charismatisch sprechender Politiker etwa kann sein Publikum nicht überzeugen, wenn es andere Wertvorstellungen hat.“
Wie kommt man sprechend nun möglichst kompetent rüber? Pausen setzen, ein angenehmes Sprechtempo und eine deutliche Aussprache sind die wichtigsten Tipps. Letztere sei, so Niebuhr, besonders wichtig, um Selbstbewusstsein zu transportieren. Leidenschaft fuße vor allem auf der Stärke der Betonung, dem Tonhöhenumfang und der Stimmlage einer Person. Diese sollte, anders als vielleicht erwartet, eher hoch als besonders tief sein: „Für dominantes Sprechen, um Autorität auszustrahlen, hilft eine tiefe Stimmlage. Anders ist es beim Charisma, wo es nicht darum geht, anderen etwas aufzudrängen, sondern sie mitzureißen”, erklärt Niebuhr. Besonders wirkmächtig sei außerdem der sogenannte „tiefe Fall“: „Es ist wichtig, am Ende eines Satzes mit der Stimme tief genug zu fallen. Wenn man das nicht tut, kann das schwach wirken. Ein Problem, dass statistisch gesehen vor allem Frauen haben”, merkt Niebuhr an.

Ein Spiegel der Gesellschaft

Das ist nicht der einzige Geschlechterunterschied, wenn es um stimmliches Charisma geht. Aufgrund von gesellschaftlich geprägten Stereotypen müssten Frauen in der Regel charismatisch überkompensieren. Das heißt: mehr Kompetenz über ihre Stimme transportieren als Männer, um genauso kompetent zu wirken wie sie. Dieser Unterschied wird allerdings immer kleiner, beobachtet Niebuhr: „Die Stimme ist auch immer ein Spiegel der sich verändernden Gesellschaft. So hat sich auch die Stimmlage von Frauen besonders in westlichen Ländern mit der Veränderung ihrer gesellschaftlichen Rolle gewandelt.“ Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte sei diese immer tiefer geworden. Eine Entwicklung, die die wachsende Gleichberechtigung der Geschlechter verdeutliche.

Sprechen will gelernt sein

In seinem Akustiklabor trainiert Oliver Niebuhr Menschen darin, charismatischer zu sprechen. Denn Charisma ist etwas, das man durchaus lernen kann. Über die Jahre hat Niebuhr mehrere Tausend Sprechproben gesammelt und mithilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert. „Es war niemand dabei, der in allen drei Charisma-Kategorien durchweg schlecht war”, resümiert er. „Jeder hat bestimmte Stärken und muss dann lernen, wie er andere Aspekte weiter ausbaut.” Vor allem aber sei das Bewusstsein darüber wichtig, dass Dinge wie Tonhöhe oder Pausensetzung einen realen Einfluss auf die Wirkung der Stimme haben und man diese Faktoren bewusst lenken kann.
Niebuhrs Trainings wurden übrigens vorrangig für Unternehmensgründer entwickelt, die durch Pitches Investorengelder eintreiben müssen. Eine Studie konnte zeigen: Je charismatischer diese Verkaufsgespräche vorgetragen werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit, eine Finanzierung zu bekommen. Mit einem guten Klang klingelt manchmal eben auch die Kasse.

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