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Bild: Florian Generotzky/LMU

Was macht eine Galenikerin?

Beyond Science

„Ist der Sand trocken, fällt die Burg in sich zusammen“, Olivia Merkel ist Galenikerin. Sie erforscht unter anderem die richtige Mixtur von Medikamenten. Ein Gespräch.

In vielen Tabletten macht der Anteil eines bestimmten Wirkstoffs nur ein Prozent aus. Was ist noch alles drin in so einer Kapsel?
Das kommt ganz auf den Wirkstoff an. Bei nicht hochwirksamen Substanzen wie Antibiotika liegt der Anteil sehr viel höher – bei bis zu 50 Prozent. Wir bewegen uns hier aber immer im Bereich von Milligramm-Mengen, die Patienten nicht selbst abwiegen können. Deshalb wird die Arznei genau dosiert in einer Tablette verpackt, in der neben dem Wirkstoff viele Hilfsstoffe stecken.

Wofür braucht man Hilfsstoffe?

Bei der Herstellung von Tabletten werden alle Substanzen in eine Presse gefüllt, die kräftig rüttelt und die Tablette formt. Hier muss die Konsistenz stimmen. Ich vergleiche das gerne mit dem Bauen einer Sandburg: Ist der Sand trocken, fällt die Burg in sich zusammen. Deshalb muss das Material eine gewisse Restfeuchte haben, die wir etwa durch das vorherige Herstellen eines Granulats erreichen. Sogenannte Formentrennmittel oder Schmiermittel gehören ebenso zu den Hilfsstoffen. Oder auch magensaftresistente Überzüge, damit der Wirkstoff nicht zu früh gelöst wird und dann nicht am Wirkungsort ankommt.

Und warum sind einige Tabletten klein, andere besonders groß?

Das hat tatsächlich mit dem Wirkstoffgehalt zu tun. Ist der besonders groß, müssen wir ihn trotzdem noch mit Hilfsstoffen anreichern. Daraus wird dann locker eine Tablette von eineinhalb Gramm Gewicht – die ist dann entsprechend groß. In der Pille zur Verhütung sind nur wenige Mikrogramm Wirkstoff enthalten, diese Tabletten sind trotz Zumischung von Hilfsstoffen winzig.

Als Gelenikerin sind Sie für die richtige Mixtur von Medikamenten zuständig. Wie gehen Sie vor?

Bei neuen Wirkstoffen klären wir zuallererst, wie gut löslich sie sind. Bis zu 90 Prozent der neuen Wirkstoffe funktionieren im Screening wunderbar, aber sie müssen schließlich auch den Zielort im Körper erreichen. Bei gut löslichen Wirkstoffen etwa reicht es, wenn man dazu 200 Milliliter Wasser trinkt. Dann löst sich die Substanz gut im Magen auf und wird vom Dünndarm aufgenommen. Hier ist die galenische Entwicklung relativ simpel, da wir standardmäßig vorgehen können. Schwierig wird es, wenn Substanzen schwer löslich sind. Dann müssen wir verschiedene Lösungsansätze in Betracht ziehen. Was wir außerdem immer mit bedenken müssen: Wie gut ist die Permeation Das heißt: Wie gut wirkt der Wirkstoff letztendlich im Körper, nachdem er Zellmembranen im Verdauungstrakt durchdrungen hat und ins Blut gelangt ist? Bei Wirkstoffen mit schlechter Löslichkeit müssen wir den einen oder anderen galenischen Trick anwenden.

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Wenn ich beispielsweise von einer Substanz weiß, dass sie säureempfindlich ist, dann kann ich einen entsprechenden Überzug auf die Tablette auftragen. Und ich kann dafür sorgen, dass empfindliche Moleküle erst im Darm freigesetzt werden. Um schwerlösliche Wirkstoffe besser in Lösung zu bringen, gibt es die Möglichkeit, den Wirkstoff mit Hilfsstoffen sprühzutrocknen und einzubetten. Oder es gibt die „Hot Melt Extrusion“, bei der feste Lösungen in amorphen Zuständen hergestellt werden, woraus der Wirkstoff dann auch sehr gut freigesetzt werden kann.

Tablette, Salbe oder Spritze: Welche Darreichungsform ist die beste?

Ziel ist meist, dass die Patienten das Medikament peroral, also über den Mund, einnehmen können. Jeder von uns schluckt lieber eine Tablette statt sich selbst zu spritzen oder den Wirkstoff gar intravenös verabreicht zu bekommen. Wer sich selbst mal Thrombosespritzen geben musste, weiß, was ich meine. Das macht niemand gerne. Daher versuchen wir in der Galenik, Wirkstoffe in Tablettenform zu bringen. Aber natürlich geht das nicht immer. Große Moleküle etwa in Insulinpräparaten würden im Magen abgebaut und könnten gar nicht über die Darmwand ins Blut transportiert werden. Oder nur zu einem so geringen Anteil, dass man zu viele Nebenwirkungen erzeugen würde. Viele Wirkstoffe wiederum halten sich auch bei Raumtemperatur nicht, das gilt zum Beispiel auch für Insulin.

Was machen Sie in solch einem Fall?

Die Eigenschaften der meisten Substanzen kennen wir gut. Wir wissen also, ob es sinnvoll ist, verschiedene Formulierungen, also Darreichungsformen, überhaupt auszuprobieren. Lohnt es sich nicht, weichen wir einfach früh auf eine andere Administrationsroute aus.: die Spritze oder das transdermale Pflaster, das den Arzneistoff in die Haut freisetzt. Das hat den Vorteil, dass der Wirkstoff konstant hochgehalten werden kann.

Wie gelangt der Wirkstoff denn überhaupt an den Zielort?

Genau das prüfen wir im Rahmen der Pharmakokinetik. In diesem Forschungsgebiet geht es darum, wie sich der Wirkstoff im Körper verhält, wie er verteilt und metabolisiert oder wie schnell er ausgeschieden wird. Der Darm hat aufgrund seiner zahllosen winzigen Falten und Zotten eine riesengroße Oberfläche, über die Wirkstoffe ins Blut gelangen, um dann im gesamten Körper zu zirkulieren. Sie sollen aber nur an einer ganz bestimmten Stelle wirken. Und das funktioniert wie folgt: Bei einem lokalen Schmerz zum Beispiel werden Enzyme freigesetzt, und die entzündungshemmenden Wirkstoffe einer Tablette docken genau an diesem Enzym an. Wo der Wirkstoff wirklich gebraucht wird, da wird er auch erkannt – das klassische Schlüssel-Schloss-Prinzip.

Und das klappt immer
?
Das ist wie beim Schlüssel: Manchmal kriegt man den ins Schloss, obwohl er nicht richtig passt. Man kann die Tür aber nicht öffnen, es klemmt und hakt. Auch ein Wirkstoff landet manchmal da, wo er nicht hundertprozentig passt. Das löst dann die unerwünschten Nebenwirkungen aus.

Ist das ein Hauptanliegen der modernen Galenik: Nebenwirkungen möglichst gering zu halten?

Absolut. Wir möchten Medikamente so herstellen, dass sie idealerweise nur in der Zielzelle wirken. Insbesondere in der Onkologie tut sich gerade sehr viel. Da wird mittlerweile viel weniger mit Kanonen auf Spatzen geschossen und viel stärker auf spezifische Therapien gesetzt. Allerdings denke ich, dass es nie völlig nebenwirkungsfreie Therapien geben wird. Aber natürlich möchten wir grundsätzlich Therapien verbessern – mit immer wirkungsvolleren Medikamenten.

Da ist viel Durchhaltevermögen gefragt. Nur wenige Medikamente, die entwickelt werden, landen in der Apotheke.

Wir müssen ganz schön resilient sein, das stimmt. Eine hohe Frustrationstoleranz hilft bei Rückschlägen. In meinem Forschungsgebiet beschäftige ich mich hauptsächlich mit RNA-Formulierungen. Als ich meine erste mRNA-Impfung bekam, war ich schon ziemlich emotional. Denn auch unsere akademische Forschung der letzten 20 Jahren hat dazu beigetragen, RNA-Therapeutika der Anwendung näherzubringen. In der pharmazeutischen Industrie kommt es schon eher vor, dass man regelmäßig an neuen Produktentwicklungen beteiligt ist.

Künstliche Intelligenz könnte die Trefferquote erhöhen. Wie weit ist die Galenik hier?

In der Wirkstoffentwicklung – also bevor die Galenik ins Spiel kommt – schon recht weit. In der Galenik selbst steckt die Anwendung von KI noch in den Kinderschuhen. Dabei kann die KI in vielen Fällen Zusammenhänge besser erkennen als Menschen: Wenn wir Wirkstoffe mit mehreren Hilfsstoffen kombinieren müssen, probieren wir herum, bis der jeweilige Anteil in der Zusammensetzung optimal geregelt ist. Da ist viel „Trial and Error“ dabei. Wir könnten uns manche Experimente sparen, wobei gerade das auch besonders viel Spaß macht.

Was können wir von künftigen Medikamenten erwarten
?
Dass sie geschlechtsspezifisch besser wirken, Stichpunkt Gendermedizin. Aber auch, dass wir Kinder zielgerichteter behandeln können, denn sie sind eben nicht nur „kleine Erwachsene“. Und ein Wunschgedanke auf Forschungsseite ist natürlich, die personalisierte Therapie zu unterstützen. Also Medikamente zu entwickeln, die passgenau helfen. Hier einen Weg zu finden, individuelle Behandlungen möglich zu machen, die unser Gesundheitssystem nicht völlig überfordern – daran arbeiten wir.

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Zur Person:

Olivia Merkel hat den Lehrstuhl für Drug Delivery an der Fakultät für Chemie und Pharmazie der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Die Pharmazeutin forscht seit 20 Jahren an Methoden, RNA-Abschnitte zielgenau zum Wirkort in der Lunge zu transportieren.

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Bild: Florian Generotzky/LMU

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