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Von Signalen und Neuronen

Beyond Science

„Megaspannend“ findet Neurowissenschaftlerin Amber L. Alhadeff von der University of Pennsylvania die Zusammenhänge von Hunger und Schmerz. Aber auch, warum Fett und Zucker unser Gehirn besonders belohnen.

Eigentlich wollte Amber L. Alhadeff Ärztin werden. Als die Studienzeit nahte, überlegte sie, was es wohl dafür braucht. Etwas Forschungsarbeit? Sie blätterte das Adressverzeichnis ihrer Universität in Pennsylvania durch und schickte einem „Guy” namens Harvey Grill eine äußerst knappe Nachricht: „Brauchen Sie Hilfe? Ich bin dabei!” Wer konnte ahnen, dass das der Startschuss für ihre akademische Karriere war? „Innerhalb weniger Monate habe ich meine kompletten Berufspläne über den Haufen geworfen”, lacht sie rückblickend. Heute kann sie auch einen Doktortitel vorweisen, aber ihre Leidenschaft gilt längst nicht mehr der Medizin.
Dazu muss man wissen, dass ihr Mentor Dr. Harvey Grill nicht irgendwer ist, sondern ein renommierter Neurowissenschaftler, der die komplexen Zusammenhänge zwischen Gehirn und Essverhalten erkundet. Als junge Studentin – damals 18 – war sie vom Sujet, aber auch von der Art zu arbeiten, sich im wissenschaftlichen Team auszutauschen, fasziniert: „Wo lassen sich sonst Neugier und Kreativität so wunderbar verbinden?” Die Frage ist rhetorisch, Alhadeff blieb der Forschung treu. Seit nun mehr als 15 Jahren.

Nahrungsaufnahme durchleuchtet
Essen, so erzählt sie im Interview, sei aber die wahre große Konstante in ihrem Leben. Ihre Familie zelebrierte die Nahrungsaufnahme. Jeden Abend wurde gemeinsam getafelt, ohne Ausnahme. Und am Wochenende mit den Großeltern wurde Essen zur Feier. Es impliziert sozialen Austausch, Genuss, Freude. Später am College kam dann ein neuer Aspekt dazu. Alhadeff begann zu laufen, ausdauernd zu laufen. Lebensmittel wurden nun auf Fitness-Kriterien überprüft. Ernährung und Metabolismus: Als Athletin fing sie an, die Nahrungsaufnahme theoretisch zu durchleuchten. Eine ziemlich fruchtbare Allianz. Ihren letzten Marathon lief sie im November, in drei Stunden und 22 Minuten.

Heute ist Amber L. Alhadeff nicht nur 15 Jahre älter. Die 33-Jährige ist selbst eine überaus erfolgreiche Neurowissenschaftlerin und kann zum Thema Essen einige neue Zutaten aus eigener Forschung auftischen. Essen ist nun auch professionell zum Hauptgang avanciert: „Mein persönliches Leben spiegelt sich in meinem Berufsleben wider.” Ihre Forschungsergebnisse über hungerempfindliche Neuronen im Gehirn und wie diese mit Signalen aus dem Magen-Darm-Trakt kommunizieren und sogar Überlebensstrategien beeinflussen publizierte sie unlängst im Fachjournal „Science”. Dafür wurde die Studienleiterin mit dem „Eppendorf & Science Prize for Neurobiology” 2021 ausgezeichnet, der mit 25.000 US-Dollar dotiert ist. Eine Anerkennung und praktisch vor dem Hintergrund, dass Alhadeff drei Monate vor Beginn der Pandemie ein eigenes Labor im Monell Chemical Senses Center in Philadelphia im US-Staat Pennsylvania eröffnet hat und es seitdem führt.

Uns interessiert auch, ob es Neuronen gibt, die für Hunger kodieren und womöglich auch anderes Verhalten modifizieren.“
Amber L. Alhadeff

Wenn der Magen knurrt
„Man kann nicht gut denken, gut lieben, gut schlafen, wenn man nicht gut zu Abend gegessen hat.” Das Zitat ziert ihre liebevoll gemachte Homepage. Es stammt aus der Feder der Schriftstellerin Virgina Woolf, es könnte aber auch von Amber L. Alhadeff sein. Schließlich trifft es genau den Kern ihrer Fragestellung: Warum fühlen wir uns anders, wenn uns der Magen knurrt? Nervös. Unruhig. Ein bisschen komisch. „Hunger”, sagt die Forscherin, „verändert definitiv unsere Wahrnehmung.” Im „Science”-Essay schreibt sie über ihr Vorhaben: „Ich wollte die Gehirnverschaltungen für Hunger mit anderen Signalen des Körpers in Verbindung bringen.”
Das Hungergefühl entsteht im Gehirn, genauer im Hypothalamus, wo viele Signale zusammenlaufen und auch Hormone ausgeschüttet werden können. Alhadeff und ihr Team interessiert aber auch, „ob es Neuronen gibt, die für Hunger kodieren und womöglich auch anderes Verhalten modifizieren”. Und was macht eigentlich das Belohnungssystem im Gehirn? Wie werden die homöostatischen, also stoffwechselsystembedingten Signale miteinander verknüpft? Wie die Informationen aus dem Innenleben die Hirnaktivität beeinflussen, hat sie an Mäusen beobachtet.
Für die hochmoderne Technologie ist die junge Wissenschaftlerin dankbar. Die Mäuse können sich frei bewegen, während spezielle Glasfaserkabel oder kleinste Mikroskope ihnen ins Innere leuchten und so bis dato verborgene Signalwege von Nährstoffen auf Monitore und in Scans bannen.

Offenheit für neue Wege

Wissenschaft, ja, das sei ihr absoluter Traumjob, sie könne sich nicht vorstellen, etwas anderes zu tun, meint sie. Aber es sei kein leichtes Metier. Ihr Schreibtisch ein einziges Durcheinander – Papiere hier, Stapel dort. Sie habe begriffen, man müsse flexibel bleiben, dürfe sich nicht zu sehr vorab auf eine Sache fokussieren. Die erste ihrer beiden Entdeckungen war ein Zufallsprodukt. Beim Experimentieren, wie Hunger in Hirnarealen kodiert, verstand sie: „Wer Hunger hat, hat auch Schmerzen.” Und sie fragte sich: Was passiert, wenn man zudem verletzt ist und sich im Körper eine Entzündung breitmacht? „Wie sagt einem das Gehirn, was wichtiger ist – Hunger oder Schmerz?”
Genau diesen Vorgang konnten Alhadeff und ihr Team experimentell überprüfen. Das Ergebnis: Ein großes Hungergefühl kann das Schmerzempfinden, das von einer Verletzung oder einer Entzündung herrührt, verdrängen. Die Mäuse ignorierten den provozierten Schmerz und kümmerten sich via Futtersuche um ihr Überleben. „Megaspannend”, findet Alhadeff und kann sich vorstellen, dass weiterführende Forschung dazu beitragen könne, etwa das große Problem des Opioid-Missbrauchs in den USA in den Griff zu bekommen.
Warum belohnen uns Fett und Zucker?
Die zweite Entdeckung betrifft die Signalwege im Körperinneren. Alhadeffs Team machte einen bis dato noch unbekannten Hirn-Darm-Pfad ausfindig. Erhielten die Mäuse über einen Katheter in ihren Mägen Fett, so wurden die Fett-Signale über den Vagusnerv an das Gehirn weitergeleitet. Zucker hingegen nutzt Nervenzellen im Rückenmark, sogenannte afferente Zellen, um mit den Hunger-Neuronen im Hypothalamus zu kommunizieren. Was besser sei, sei gar nicht die Frage, aber womöglich, so spekuliert die mehrfach prämierte Forscherin, könne dies erklären, warum Lebensmittel, die sowohl Fett als auch Zucker enthielten, unser Belohnungssystem im Gehirn besonders aktivierten. Und Übergewicht sei schließlich ein weiteres riesiges Problemfeld, hat Alhadeff einmal mehr das große Ganze im Blick.
Und noch etwas ist ihr wichtig: Eine inklusive Kultur will sie im rauen Wissenschaftsalltag pflegen, Frauen in der Wissenschaft promoten. Aber auch alle anderen, die sonst durchs Raster fallen wegen ihrer Ethnie, Herkunft, Sexualität oder ihres sozioökonomischen Hintergrundes. Der Job sei herausfordernd, findet sie, es brauche verschiedene Perspektiven für Innovationen und wissenschaftlichen Fortschritt – nicht nur den Mainstream.

Mehr Erfahren?

Hier geht’s zur Website:
www.alhadefflab.com

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