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Urknall im Untergrund

Beyond Science

Was hält unsere Welt im Innersten zusammen? Damit beschäftigt sich die Teilchenphysikerin Beate Heinemann am Deutschen Elektronen-Synchroton in Hamburg. Warum es für wissenschaftlichen Erfolg auch Glück braucht.

Sie forschen zum Higgs-Teilchen und suchen nach Dunkler Materie. Wie erklären Sie Ihren Eltern, womit Sie sich tagtäglich beschäftigen?


Beate Heinemann:
Wir wollen die fundamentalen Naturgesetze verstehen, die die Entwicklung unseres Universums und dessen Zukunft bestimmen. In der subatomaren Welt gibt es sehr viele Phänomene, die wir zwar beschreiben, aber noch nicht vollends erklären können. Etwa warum es mehr Materie gibt als Antimaterie.

Was ist an dieser Frage essenziell?

Das heutige Universum besteht nahezu ausschließlich aus Materie. Nach der Theorie müsste aber mit dem Urknall gleich viel Materie und Antimaterie entstanden sein. Das Problem dabei: Wenn Materie und Antimaterie aufeinandertreffen, vernichten sie sich – zu Licht. Also muss ein physikalisches Phänomen bewirkt haben, dass Materie übrig bleibt und Antimaterie verschwindet. Denn sonst wären wir alle gar nicht hier. Das ist also im wahrsten Sinne des Wortes eine existenzielle Frage, die wir mit unserer heutigen Theorie nicht beantworten können.

Ihre Forschungen führen Sie an den Anfang des Universums zurück.
Bei den Experimenten, die wir etwa im Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) am CERN durchführen, erzeugen wir sehr hohe Energien, wie sie kurz nach dem Urknall existierten. So hoffen wir, auf bislang unbekannte Naturgesetze zu stoßen, die etwa die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie erklären können. Diese Experimente sind gleichsam Mikroskope, mit denen wir die subatomare Welt – also Teilchen, die milliardenmal kleiner sind als ein Atom – untersuchen können. Und je höher die Energie, desto kleinere Teilchen können wir aufspüren.

Als erste Frau seit der Gründung des DESY sind Sie seit Februar 2022 Direktorin für den Bereich Teilchenphysik. Was möchten Sie in dieser Rolle künftig vorantreiben?
Die Teilchenphysik am DESY ist bereits sehr gut aufgestellt. Wir sind stark in internationale Projekte am CERN und in Japan eingebunden und spielen da auch eine tragende Rolle. Aktuell arbeiten wir an neuen Spurdetektoren, die für die Experimente am LHC von großer Bedeutung sind. In Kooperation mit internationalen und deutschen Universitäten führen wir aber auch lokale Experimente durch. Beispielsweise haben wir ein Programm aufgebaut, um nach sogenannten Axionen zu suchen. Das sind hypothetische Teilchen, die nach der Theorie in enormen Mengen um uns herum und durch uns hindurchschwirren. Sie gelten als heiße Kandidaten für Teilchen, die Dunkle Materie ausmachen. Das ist Materie, die nicht mit Licht wechselwirkt, also letztlich unsichtbar ist.

Von der es deutlich mehr gibt als von normaler Materie.
Nach unserem heutigen Verständnis gibt es fast sechsmal mehr Dunkle Materie als normale Materie – wir wissen aber nicht, was sie eigentlich ist und woraus sie besteht. Wir haben also von einem großen Teil unseres Universums noch schlicht keine Ahnung. Die Dunkle Materie verrät sich bislang nur durch ihre Schwerkraft. Und gerade die Schwerkraft können wir zum Beispiel in Teilchenbeschleunigern nicht untersuchen, weil sie im Vergleich zu den anderen Naturkräften viel zu schwach ist. Wir haben nun drei Experimente geplant, um den Axionen und damit bestenfalls auch der Dunklen Materie auf die Spur zu kommen.

Bei einem dieser Experimente versuchen Sie, Licht durch eine Wand zu schießen.
Die Idee dahinter: Die Axionen können sich in einem starken Magnetfeld in Lichtteilchen, sogenannte Photonen, verwandeln und umgekehrt. Wir nutzen einen hochintensiven Laser – also ganz viel Licht – und schießen das durch ein starkes Magnetfeld auf eine Wand. Und wenn sich Lichtteilchen in Axionen verwandeln, können sie wegen ihrer geringen Wechselwirkung mit Materie die Wand durchqueren und sich im Magnetfeld auf der anderen Seite wieder in Photonen verwandeln. Falls also tatsächlich Licht durch die Wand scheint, wäre der Beweis erbracht, dass es zumindest axionartige Teilchen gibt. Ab diesem Sommer soll das Experiment erste Daten liefern.

Physiknobelpreisträger Leon Lederman hat Glück als eine der wichtigsten Zutaten für wissenschaftlichen Erfolg bezeichnet.
Als Wissenschaftlerin muss man sich spezialisieren. Und das bedeutet auch, sich für einen Forschungsgegenstand und -weg zu entscheiden. Man muss also Glück haben, das Richtige an der richtigen Stelle zu suchen. Wir wissen ja beispielsweise nicht, ob es tatsächlich Axionen gibt oder nicht. Viele Nobelpreisentdeckungen in der Teilchenphysik und anderen Bereichen beruhen auf Glück. Auch die Funktionsweise des
mRNA-Moleküls, auf dem Impfstoffe gegen das Coronavirus basieren, wurde zufällig in der Grundlagenforschung entdeckt. Deshalb ist neben der angewandten Wissenschaft auch Forschung um des Forschens willen so wichtig. Nur so kann man finden, wonach man gar nicht gesucht hat.

Was war wissenschaftlich betrachtet bislang Ihr größtes Glück?
Einerseits sicher die Entdeckung des Higgs-Teilchens. Dass wir experimentell ein Teilchen finden konnten, dessen Existenz seit 50 Jahren angenommen wurde, war und ist für mich immer noch unglaublich. Andererseits: Wenn diese hochtechnischen, komplexen Detektoren, die wir teils über ein Jahrzehnt entwickeln und bauen, dann nach vielen durcharbeiteten Nächten tatsächlich funktionieren – das ist auch ein enormes Glück.

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