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Eine Stadt für die Menschen

Beyond Science

Kurze Wege, weniger Autos: Das ist die Grundidee der 15-Minuten-Stadt. Alles Wichtige soll schnell erreichbar sein – und zwar zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Wie das Konzept in der Praxis aussehen kann, weiß Stadtplaner Marcel Cardinali aus Bielefeld.

Klima: Parks statt Parkplätze

Die meisten Städte sind geprägt vom Autoverkehr. Die Folgen: ein immenser Platzbedarf und hohe Emissionen. Die 15-Minuten-Stadt hingegen ist so konstruiert, dass möglichst viele Ziele innerhalb von einer Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Egal, ob Einkaufen oder Sporttreiben, Arbeiten oder Arztbesuch. Was außerhalb dieses Radius liegt, ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut angebunden. Die Bewohner sind also weniger auf das Auto angewiesen, ein guter Teil der durch Mobilität bedingten Emissionen fällt weg. Ein zusätzlicher Bonus: Bisher versiegelte Flächen werden klimafreundlich umgewidmet. Aus Parkplätzen können Parks werden, aus Fahrspuren begrünte Fußgängerzonen.


Gesellschaft: ­wieder ins Gespräch kommen

Eine auf Autos ausgelegte Stadt trennt die Menschen voneinander. Der motorisierte Individualverkehr verringert die Möglichkeiten des Austauschs zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Zufällige Begegnungen, wie sie in Parks oder Bussen entstehen können, passieren nicht, wenn man allein im Auto sitzt. Die 15-Minuten-Stadt bietet die Chance, Menschen und Milieus wieder mehr miteinander ins Gespräch zu bringen – einfach durch die gleichzeitige physische Präsenz an einem Ort. Auch die Identifikation mit dem Wohnort und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner können so gesteigert werden.


Gesundheit: mehr Bewegung im Alltag

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass bis 2030 weltweit 500 Millionen Menschen an den Folgen von Bewegungsmangel erkranken. Mehr Sport schafft hier Abhilfe, klar. Aber gerade auch tägliche Wege nicht mit dem Auto zurückzulegen, sondern zu Fuß oder mit dem Rad zu bewältigen, hat einen großen Effekt. Die 15-Minuten-Stadt gibt ihren Bewohnern starke Anreize, sich mehr zu bewegen. Geschäfte des täglichen Bedarfs befinden sich in Laufweite, Grünflächen und autofreie Zonen laden zum Spazieren und Flanieren mit Freunden und der Familie ein. Ein positiver Nebeneffekt: Gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen, steigert das psychische Wohlbefinden – und ist allemal schöner, als mit dem Auto im Stau zu stehen, wie es in Großstädten heute so oft der Fall ist.


Wirtschaft: flexibler arbeiten

In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeitswelt unter dem Schlagwort „New Work“ stark verändert. Die Anzahl von Co-Working-Spaces ist gestiegen, und die Coronapandemie hat das Homeoffice allgegenwärtig gemacht. Ein Teil der Bevölkerung kann seine Arbeit nun vollständig digital ausführen, das Pendeln mit dem Auto ist für sie überflüssig geworden. Die 15-Minuten-Stadt passt genau zu diesem Ansatz des flexibleren Arbeitens. Menschen, die in ihrem Quartier arbeiten, verbringen dort auch tagsüber mehr Zeit, als wenn sie ins Büro fahren würden. So entsteht für Geschäfte, Cafés und Apotheken die nötige Kundenfrequenz.

Der Stadtforscher

Marcel Cardinali ist Stadtplaner und -forscher und lehrt an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied des Institute for Design Strategies (IDS). Marcel Cardinali arbeitet beim Horizon-2020-Forschungsprojekt URBiNAT. Dort leitet er ein Team aus Forschenden, die sich mit den „Auswirkungen naturbasierter Lösungen auf Gesundheit und Wohlbefinden“ beschäftigen.

„Individuelle Lösungen auf Quartiersebene entwickeln“


Warum sind so viele Städte so stark auf Autos ausgelegt?
Marcel Cardinali: Die Städte Europas sind über Jahrhunderte historisch gewachsen. Im Inneren liegt der Stadtkern mit mittelalterlichen dichten Strukturen, die für fußläufige Entfernungen gebaut waren. Mit der Industrialisierung entstanden drumherum Fabrikanlagen. Die Nähe dieser Anlagen führte zu so starken gesundheitlichen Problemen, dass Stadtplaner 1933 in der Charta von Athen die „sortierte Stadt“ beschlossen – insbesondere die Trennung von Wohnen und Arbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man dann abseits der Trümmer in modernen Wohneinheiten mit viel Grün vor der Tür leben. Folge waren aber auch weitere Wege, sodass ein Großteil der Gesellschaft auf ein Auto angewiesen war.

Wie wird aus solchen Städten eine 15-Minuten-Stadt ohne Autos?
Die Städte in Europa sind bereits gebaut, allerdings befinden sie sich in einem stetigen Transformationsprozess. Solche Veränderungen greifen immer in bestehende Strukturen ein. Die 2007 verabschiedete „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ spricht deshalb von einer Mehrebenenkooperation und einem ortsbezogenen Ansatz. Es muss also gelingen, gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren individuelle Lösungen auf Quartiersebene zu entwickeln. Durch den Klimawandel gibt es in der Politik und bei den Bewohnern bereits ein gesteigertes Bewusstsein für das Thema. Schließlich ist der motorisierte Straßenverkehr hierzulande für rund 15 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.

Und wenn Quartiere neu geplant und gebaut werden?
Hilfreiche Perspektiven bei der Planung von neuen Quartieren sind der menschliche Maßstab und die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner. Wir sprechen hier von Daily Urban Systems. Wenn sich der Alltag aller Bewohner gut im Quartier abbilden lässt und sich deren Bewegungslinien an einem zentralen Platz mit ÖPNV-Anbindung kreuzen, ist schon viel gewonnen. Für Lebendigkeit tagsüber sorgen Gewerbeeinheiten, Kindergärten, Schulen und Co-Working-Bereiche. Die fußläufige Erreichbarkeit in 15 Minuten bietet einen Richtwert für die maximale Ausdehnung des Quartiers.