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Wir sind 99 Prozent Mikrobiom und nur zu einem Prozent Mensch
Beyond Science
Der Einfluss von Darmbakterien auf die Wirkung von Medikamenten ist viel größer als gedacht. Wie dieses Wissen die Medizin revolutionieren könnte, erklärt der Biochemiker und Pharmazeut Michael Zimmermann
Eine kurze Internetsuche nach Büchern zum Thema Darm ergibt allein im populärwissenschaftlichen Bereich mehr als 1.000 Treffer. Genießt der Darm diese große Aufmerksamkeit zu Recht?
Michael Zimmermann: Subjektiv würde ich dem natürlich zustimmen, denn das ist ja unser Forschungsgebiet! Aber im Ernst: Der Darm beeinflusst unsere Gesundheit. Er ist einer der Hauptberührungspunkte unseres Körpers mit der Außenwelt, unter anderem über die Nahrungsaufnahme. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, wer den Darm „bewohnt“ – nämlich Hunderte verschiedene Arten von Mikroorganismen, vor allem Bakterien, aber auch Viren, Bakteriophagen (Anm. d. Red.: Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren) und Pilze. Sie alle bilden unser Mikrobiom, unser mikrobielles Ökosystem. Der Mensch hat verschiedene Mikrobiome, etwa im Mund-Rachen-Bereich oder auf der Haut. Aber das Darmmikrobiom ist hinsichtlich seiner Masse und Diversität das größte.
Wie entsteht dieses Mikrobiom?
Zimmermann: Am Anfang des Lebens sind wir steril und werden allmählich von Mikroorganismen besiedelt. Wir packen gewissermaßen unseren Rucksack – mit den Mikroorganismen von Mama, Papa, aus der Kita oder von unseren Reisen. Bis zum dritten Lebensjahr verändert sich das Mikrobiom noch stark, danach stabilisiert es sich. Wie es sich zusammensetzt, hängt stark von der Nahrungsaufnahme ab. Auch Lifestyle-Faktoren und die Medikamenteneinnahme spielen eine Rolle.
Was macht die Darmbewohner aus molekularbiologischer Sicht so interessant?
Zimmermann: Es ist spannend, sich die Gene der Mikroorganismen im Darm anzuschauen. Ich sage gerne plakativ: Wir alle sind 99 Prozent Mikrobiom und nur zu einem Prozent Mensch. Wir tragen zwei bis drei Millionen mikrobielle Gene in unserem Darm. Das sind 100- bis 150-mal mehr als menschliche Gene. Und während das Humangenom zu gut 99 Prozent identisch ist, kann sich die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm um bis zu 80 Prozent unterscheiden. Das bietet einen wichtigen Erklärungsansatz, warum auch die Wirkung von Medikamenten von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ausfallen kann.
Was passiert denn im Darm, wenn wir Medikamente einnehmen?
Zimmermann: Medikamente können auf ganz verschiedene Weisen mit Darmbakterien interagieren. Sie können gewisse Bakterien unterdrücken, was die Zusammensetzung und die Funktion des Darmmikrobioms beeinflussen kann. Die Darmbakterien wiederum können Medikamentenwirkstoffe verstoffwechseln und chemisch so verändern, dass sie entweder inaktiviert oder zusätzlich aktiviert werden oder aber Nebenwirkungen verursachen. Von Antibiotika beispielsweise ist der kollaterale Nebeneffekt ja bekannt. Sie sind dafür bestimmt, Bakterien das Leben schwer zu machen, leider auch den Darmbakterien.
Spielt das Darmmikrobiom für alle Medikamente eine Rolle?
Zimmermann: Der Großteil der Medikamente wird gut im Dünndarm aufgenommen – dort haben wir weniger Mikroorganismen als im Dickdarm. Manche Medikamente wandern allerdings weiter. Im Dickdarm werden die Mikroben immer dichter. Dort finden sich Billionen von Bakterien pro Milliliter – eine zahnpastaähnliche Brühe aus Bakterien! Hier kann es dann zu Interaktionen mit dem Medikament kommen. Manche Medikamente werden auch von der Leber verstoffwechselt und gelangen anschließend zurück in den Darm. Dort können sie dann schwere Nebenwirkungen auslösen, aber auch inaktiviert werden, also ihre Wirkung verlieren.
Michael Zimmermann: Subjektiv würde ich dem natürlich zustimmen, denn das ist ja unser Forschungsgebiet! Aber im Ernst: Der Darm beeinflusst unsere Gesundheit. Er ist einer der Hauptberührungspunkte unseres Körpers mit der Außenwelt, unter anderem über die Nahrungsaufnahme. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, wer den Darm „bewohnt“ – nämlich Hunderte verschiedene Arten von Mikroorganismen, vor allem Bakterien, aber auch Viren, Bakteriophagen (Anm. d. Red.: Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren) und Pilze. Sie alle bilden unser Mikrobiom, unser mikrobielles Ökosystem. Der Mensch hat verschiedene Mikrobiome, etwa im Mund-Rachen-Bereich oder auf der Haut. Aber das Darmmikrobiom ist hinsichtlich seiner Masse und Diversität das größte.
Wie entsteht dieses Mikrobiom?
Zimmermann: Am Anfang des Lebens sind wir steril und werden allmählich von Mikroorganismen besiedelt. Wir packen gewissermaßen unseren Rucksack – mit den Mikroorganismen von Mama, Papa, aus der Kita oder von unseren Reisen. Bis zum dritten Lebensjahr verändert sich das Mikrobiom noch stark, danach stabilisiert es sich. Wie es sich zusammensetzt, hängt stark von der Nahrungsaufnahme ab. Auch Lifestyle-Faktoren und die Medikamenteneinnahme spielen eine Rolle.
Was macht die Darmbewohner aus molekularbiologischer Sicht so interessant?
Zimmermann: Es ist spannend, sich die Gene der Mikroorganismen im Darm anzuschauen. Ich sage gerne plakativ: Wir alle sind 99 Prozent Mikrobiom und nur zu einem Prozent Mensch. Wir tragen zwei bis drei Millionen mikrobielle Gene in unserem Darm. Das sind 100- bis 150-mal mehr als menschliche Gene. Und während das Humangenom zu gut 99 Prozent identisch ist, kann sich die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm um bis zu 80 Prozent unterscheiden. Das bietet einen wichtigen Erklärungsansatz, warum auch die Wirkung von Medikamenten von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ausfallen kann.
Was passiert denn im Darm, wenn wir Medikamente einnehmen?
Zimmermann: Medikamente können auf ganz verschiedene Weisen mit Darmbakterien interagieren. Sie können gewisse Bakterien unterdrücken, was die Zusammensetzung und die Funktion des Darmmikrobioms beeinflussen kann. Die Darmbakterien wiederum können Medikamentenwirkstoffe verstoffwechseln und chemisch so verändern, dass sie entweder inaktiviert oder zusätzlich aktiviert werden oder aber Nebenwirkungen verursachen. Von Antibiotika beispielsweise ist der kollaterale Nebeneffekt ja bekannt. Sie sind dafür bestimmt, Bakterien das Leben schwer zu machen, leider auch den Darmbakterien.
Spielt das Darmmikrobiom für alle Medikamente eine Rolle?
Zimmermann: Der Großteil der Medikamente wird gut im Dünndarm aufgenommen – dort haben wir weniger Mikroorganismen als im Dickdarm. Manche Medikamente wandern allerdings weiter. Im Dickdarm werden die Mikroben immer dichter. Dort finden sich Billionen von Bakterien pro Milliliter – eine zahnpastaähnliche Brühe aus Bakterien! Hier kann es dann zu Interaktionen mit dem Medikament kommen. Manche Medikamente werden auch von der Leber verstoffwechselt und gelangen anschließend zurück in den Darm. Dort können sie dann schwere Nebenwirkungen auslösen, aber auch inaktiviert werden, also ihre Wirkung verlieren.
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Sie beschäftigen sich mit der Frage, wie das Darmmikrobiom die Wirkung von Medikamenten beeinflusst. Was war der Ausgangspunkt dafür?
Zimmermann: Es gab schon seit den 60er-Jahren anekdotische Beispiele, die auf diesen Zusammenhang hinwiesen. Wir wollten das systematisch untersuchen und haben damit schon vor einigen Jahren begonnen. Die Ausgangsfrage lautete, wie rund 300 Medikamente vom Mikrobiom und von einzelnen Darmbakterien verstoffwechselt werden. Davon erhofften wir uns Hinweise auf interpersonelle Unterschiede in der Medikamentenantwort. Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass Darmbakterien die Fähigkeit besitzen, Wirkstoffe chemisch zu verändern und zu verstoffwechseln – und dass Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten möglicherweise stark auf das Mikrobiom einer Person zurückzuführen sind.
Wie gehen Sie dabei konkret vor? Gewähren Sie uns einen Blick in Ihr Labor!
Zimmermann: Wir nehmen Stuhlproben von Patienten und sequenzieren zunächst das gesamte Mikrobiom, bestimmen also das Erbgut aller Bakterien. Parallel dazu lassen wir in Teströhrchen aus Stuhlproben verschiedener Personen ganze Mikrobiome wachsen. Wir studieren auch einzelne Bakterien und schauen uns unter Laborbedingungen – auch mit Mausmodellen – die Interaktion mit Medikamenten an. Mithilfe gentechnischer Methoden finden wir heraus, welches die mikrobiellen Enzyme sind, die für die Verstoffwechselung eines Medikamentes verantwortlich sind.
Welche Arzneimittel untersuchen Sie?
Zimmermann: Wir haben zwei Ansätze: Einer folgt der wissenschaftlichen Neugier. Mit 300 von uns ausgesuchten Medikamenten haben wir versucht, die chemische Diversität von Arzneimitteln und Wirkstoffgruppen abzudecken. Daneben arbeiten wir mit klinischen Partnern zusammen. Dabei fokussieren wir uns auf bestimmte Arzneistoffgruppen. Das geht in Richtung personalisierte Medizin.
Das heißt, jeder bekommt sein persönliches Medikament?
Zimmermann: Wenn ich gestern ausgiebig getrunken und heute Kopfweh hätte, dann würde ich einfach eine Kopfschmerztablette nehmen. Dafür bräuchte ich keinen „personal approach“. Es geht eher um Medikamente, die über längere Zeit genommen werden müssen und deren Dosis präzise eingestellt werden muss. Bei der Transplantationsmedizin etwa gibt es ein enges therapeutisches Fenster: Erhält der Patient zu viel des benötigten Wirkstoffes, dann verliert er sein neues Organ. Erhält er zu wenig, riskiert er eine Infektion. Da lohnt es sich, in Richtung Mikrobiom zu denken. Auch Psychopharmaka sind sehr schwierig einzustellen, das wird oft noch sehr empirisch gemacht. Hier wäre es spannend, wenn man Klinikern Instrumente an die Hand geben könnte, um diese empirische Phase verkürzen zu können. Das hätte auch einen ökonomischen Effekt. Es ist teuer, wenn Leute über längere Zeit nicht das richtige Medikament bekommen.
Könnte man umgekehrt auch das Mikrobiom verändern, damit Medikamente besser wirken?
Zimmermann: Ja, das Mikrobiom kann man beeinflussen. Das reicht von einfachen Veränderungen des Lebensstils über die Einnahme von Probiotika und Präbiotika – also Nahrungsergänzungsmitteln, die gewisse Bakterien stärker fördern – bis hin zur Transplantation von Stuhl von einer zur anderen Person. Damit verpflanzt man ein ganzes Ökosystem. Mit Bakteriophagen oder der Genschere CRISPR/Cas kann man sogar präzise ein mikrobielles Gen im Mikrobiom anvisieren, um dieses aus dem Darmmikrobiom zu entfernen. Diese Art personalisierter Medizin bedeutet: Wir passen den Patienten an das Medikament an, nicht umgekehrt. In der Krebs- und Immuntherapie oder in der Psychiatrie besteht ein starkes klinisches Interesse an diesem Ansatz. In all diesen Bereichen müssen Medikament und Dosis einfach gut passen, um den gewünschten Effekt zu erreichen.
Zimmermann: Es gab schon seit den 60er-Jahren anekdotische Beispiele, die auf diesen Zusammenhang hinwiesen. Wir wollten das systematisch untersuchen und haben damit schon vor einigen Jahren begonnen. Die Ausgangsfrage lautete, wie rund 300 Medikamente vom Mikrobiom und von einzelnen Darmbakterien verstoffwechselt werden. Davon erhofften wir uns Hinweise auf interpersonelle Unterschiede in der Medikamentenantwort. Tatsächlich haben wir herausgefunden, dass Darmbakterien die Fähigkeit besitzen, Wirkstoffe chemisch zu verändern und zu verstoffwechseln – und dass Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten möglicherweise stark auf das Mikrobiom einer Person zurückzuführen sind.
Wie gehen Sie dabei konkret vor? Gewähren Sie uns einen Blick in Ihr Labor!
Zimmermann: Wir nehmen Stuhlproben von Patienten und sequenzieren zunächst das gesamte Mikrobiom, bestimmen also das Erbgut aller Bakterien. Parallel dazu lassen wir in Teströhrchen aus Stuhlproben verschiedener Personen ganze Mikrobiome wachsen. Wir studieren auch einzelne Bakterien und schauen uns unter Laborbedingungen – auch mit Mausmodellen – die Interaktion mit Medikamenten an. Mithilfe gentechnischer Methoden finden wir heraus, welches die mikrobiellen Enzyme sind, die für die Verstoffwechselung eines Medikamentes verantwortlich sind.
Welche Arzneimittel untersuchen Sie?
Zimmermann: Wir haben zwei Ansätze: Einer folgt der wissenschaftlichen Neugier. Mit 300 von uns ausgesuchten Medikamenten haben wir versucht, die chemische Diversität von Arzneimitteln und Wirkstoffgruppen abzudecken. Daneben arbeiten wir mit klinischen Partnern zusammen. Dabei fokussieren wir uns auf bestimmte Arzneistoffgruppen. Das geht in Richtung personalisierte Medizin.
Das heißt, jeder bekommt sein persönliches Medikament?
Zimmermann: Wenn ich gestern ausgiebig getrunken und heute Kopfweh hätte, dann würde ich einfach eine Kopfschmerztablette nehmen. Dafür bräuchte ich keinen „personal approach“. Es geht eher um Medikamente, die über längere Zeit genommen werden müssen und deren Dosis präzise eingestellt werden muss. Bei der Transplantationsmedizin etwa gibt es ein enges therapeutisches Fenster: Erhält der Patient zu viel des benötigten Wirkstoffes, dann verliert er sein neues Organ. Erhält er zu wenig, riskiert er eine Infektion. Da lohnt es sich, in Richtung Mikrobiom zu denken. Auch Psychopharmaka sind sehr schwierig einzustellen, das wird oft noch sehr empirisch gemacht. Hier wäre es spannend, wenn man Klinikern Instrumente an die Hand geben könnte, um diese empirische Phase verkürzen zu können. Das hätte auch einen ökonomischen Effekt. Es ist teuer, wenn Leute über längere Zeit nicht das richtige Medikament bekommen.
Könnte man umgekehrt auch das Mikrobiom verändern, damit Medikamente besser wirken?
Zimmermann: Ja, das Mikrobiom kann man beeinflussen. Das reicht von einfachen Veränderungen des Lebensstils über die Einnahme von Probiotika und Präbiotika – also Nahrungsergänzungsmitteln, die gewisse Bakterien stärker fördern – bis hin zur Transplantation von Stuhl von einer zur anderen Person. Damit verpflanzt man ein ganzes Ökosystem. Mit Bakteriophagen oder der Genschere CRISPR/Cas kann man sogar präzise ein mikrobielles Gen im Mikrobiom anvisieren, um dieses aus dem Darmmikrobiom zu entfernen. Diese Art personalisierter Medizin bedeutet: Wir passen den Patienten an das Medikament an, nicht umgekehrt. In der Krebs- und Immuntherapie oder in der Psychiatrie besteht ein starkes klinisches Interesse an diesem Ansatz. In all diesen Bereichen müssen Medikament und Dosis einfach gut passen, um den gewünschten Effekt zu erreichen.
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Zur Person
Michael Zimmermann ist Gruppenleiter beim Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg. Seine Zimmermann Group verfolgt verschiedene experimentelle Ansätze, um molekulare Mechanismen zwischen Darmmikrobiom und Mensch zu entschlüsseln.